Das Regenwaldkomplott
der einmal zu ihm gesagt hatte: »Röntgenstrahlen, Computer-Tomographen, Magensonden, Ultraschall, all das sind nur Hilfsmittel. Das Wichtigste für einen Arzt waren, sind und bleiben seine Hände und sein Ohr.«
Beim Druck auf die linke Leiste zuckte der Indio zusammen. Er riß den Mund auf und sagte dann stockend: » Tj a nini kahátha.« Pater Ernesto nickte ihm beruhigend zu.
»Wörtlich heißt das: Ich schmerzvoll sehr. Also: Dort hat er Schmerzen«, erklärte er.
Thomas drückte noch einmal auf die Stelle und umkreiste mit den Fingern die Leistengegend. Der Yanomami biß die Zähne zusammen. Er gab jetzt keinen Laut mehr von sich, nur an dem Flackern seiner Augen erkannte man, wie groß die Schmerzen waren.
»Na?« fragte Pater Ernesto.
»Ein innerer Leistenbruch«, antwortete Thomas und runzelte die Stirn.
»Sagen Sie bloß, unser Yanomami soll operiert werden«, sagte Pater Ernesto.
»Ich halte es für dringend notwendig.«
»Anders geht es nicht?«
»Nicht in diesem Fall.«
»Und womit wollen Sie operieren?«
»Ich habe noch nicht Ihren Instrumentenschrank gesehen. Sie müssen doch im Laufe der vergangenen zweiundzwanzig Jahre die nötigsten Instrumente bekommen haben.«
»Aus Italien ist durch Spenden einiges, vor allem Medikamente, zu uns gekommen. Auch die FUNAI ergänzt auf Anforderungen unsere Bestände, aber chirurgische Instrumente – wozu? Wir hatten, bis Sie kamen, nur ein paarmal Ärzte zu Gast hier. Sie sind schnell wieder nach Boa Vista zurückgeflogen, da sie sich wie Don Quijote vorkamen, der gegen Windmühlenflügel kämpfte. Wir haben drei stumpfe Skalpelle hier, ein paar Zangen und Klemmen, eine Pappschachtel mit Nadeln, aber kein Nahtmaterial. Ja nun, ein paarmal habe ich geschnitten, meistens Furunkel. Eiter raus, Verband anlegen, fertig. Das alles ohne Betäubung.«
»Sie haben keine Anästhetika hier?«
»Doch. Ein Stückchen Holz oder Bambus. Die Yanomami klemmen es sich zwischen die Zähne und beißen darauf. Das sind verdammt harte und zähe Burschen, Doktor. Aber war's bei uns im Mittelalter anders? Da wurden Arme und Beine amputiert, Zähne ausgerupft, alles ohne Betäubung. Die durch Schmerzen erzeugte Bewußtlosigkeit war die natürliche Anästhesie. Denken Sie einfach, Sie lebten hier im Jahre 1223. Natürlich haben die Medizinmänner der Indios Tropfen aus Pflanzen und Wurzeln, die die Schmerzen dämpfen, aber für eine Operation sind sie zu schwach. Sie werden das alles noch kennenlernen, Doktor.«
Pater Ernesto blickte wieder auf den Yanomami hinunter. »Was machen wir jetzt mit ihm? Wollen Sie wie im Mittelalter operieren? Ich warne Sie, Doktor. Wenn Ihnen der Patient stirbt, sind Sie für die Yanomami ein Mörder, und der Geist des Toten wird das Dorf nie mehr verlassen. Da hilft nur eins, ihn zu versöhnen: Ihr Tod! Ich verliere Sie ungern schon nach ein paar Tagen.«
»Es ist alles unterwegs. Alles, was man für eine mobile Klinik braucht. Die Kisten müßten längst hier sein, so wie die Kisten von Frau Herrmann. Ich verstehe das nicht.«
»Geduld ist die Mutter des Überlebens, Doktor. Ihre Kisten lagern bestimmt irgendwo in Boa Vista. Vielleicht sogar im Lagerhaus der FUNAI . Und wenn sie dort sind, dann sitzt Beja drauf.«
»Wer ist Beja?«
»Arlindo Beja. Den kennen Sie nicht? Der Chef der FUNAI für Roraima? Haben Sie sich nicht bei ihm melden müssen?«
»Nein. Nur bei der FUNAI in Manaus. Und da ging es schnell, als man meine Papiere durchsah. Ein Schreiben der Regierung in Brasilia wirkte Wunder. Ich bin auf direktem Wege hierher gekommen, genau wie Frau Herrmann. Einen Beja haben wir nie zu Gesicht bekommen.«
»Das ist schlecht. Sehr schlecht sogar.« Pater Ernesto wischte sich über das schweißnasse Gesicht. Auch nach all den Jahren setzte ihm das Klima zu. »Beja ist ein eitler Affe. Er wird sich übergangen fühlen, und das werden Sie zu spüren bekommen. Ihre Kisten verstauben erst mal im Schuppen.«
»Wie kann ich Beja erreichen?«
»Per Funk, aber meistens ist er nicht da. Oder per Flugzeug. Sie geben einem der Piloten, die bei uns landen, einen Brief an Beja mit.« Pater Ernesto sah Thomas nachdenklich an. »Glauben Sie nicht, ich wolle Sie kontrollieren, aber, bitte, zeigen Sie mir den Brief, bevor Sie ihn abgeben. Ein falsches Wort, ein Hauch von Kritik, und Sie sind für Beja nicht mehr vorhanden.«
»Sie haben Angst vor ihm? Nach all den Jahren am Rio Parima?«
»Wir haben gelernt, vorsichtig zu sein und den Kopf
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