Das Regenwaldkomplott
wühlen. Ich bin gespannt, wann der erste hier aufkreuzt. Ein guter Rat, Doktor: Schicken Sie ihn weg. Schicken Sie alle weg, sonst wird die Mission von Patienten überrollt.«
»Als Arzt muß ich jedem helfen, der zu mir kommt, Tenente.«
»Ich sehe verdammte Probleme auf uns zukommen, Doktor.« Ribateio machte eine einladende Geste. »Trinken Sie einen Rum mit mir?«
»Nicht schon am Vormittag, und bei dieser Hitze.«
»Rum mit Maracujasaft.«
»Es bleibt dennoch Alkohol.«
»Sie werden noch viel lernen müssen, Doktor.« Ribateio lachte und stützte seine Arme in die Hüften. »Besoffen sein ist das einzige Vergnügen, das unser Leben hier erträglich macht. Sie werden es schnell erfahren.«
Toms nächster Besuch galt Luise Herrmann. Sie war in dem großen Raum, der ihr Labor werden sollte, und packte die Kisten aus. Holzwolle wirbelte herum, Packpapier und Styroporflocken lagen in Haufen auf dem Boden neben Glaskolben, Trichter und Reagenzgläsern. Ein Bunsenbrenner, zwei Mikroskope, Glasschalen aller Größen, verchromte Kästen und Glasflaschen standen ungeordnet auf einem Tisch. In all diesem Durcheinander saß Luise mit verschwitzten Haaren und einer bis zum dritten Knopf geöffneten Bluse auf einer Kiste. Man sah ihr die Erschöpfung an, im Augenblick kapitulierte sie vor dem Chaos um sie herum und vor der feuchten Hitze. Mit einem hilflosen Nicken begrüßte sie Thomas, der nach einem kurzen Klopfen das Labor betreten hatte.
»Du siehst hier eine total geschaffte Frau, Tom«, sagte sie müde. »Ich habe so gehofft, daß du kommst, ich habe dich herbeigewünscht. Sieh dir das an, und das sind erst zwei Kisten. Diese Hitze. Jeder Glaskolben wiegt einen Zentner, so kommt es mir vor. Die anderen Kisten auszupacken ist völlig sinnlos. Ich habe zwei Tische zur Verfügung, das ist alles. Pater Vincence läßt gerade noch vier Tische machen. Wie ist es bei dir?«
»Hier heißt es improvisieren, Luise. Du hast wenigstens deine Kisten. Meine stehen irgendwo herum, wahrscheinlich in Boa Vista.«
Er kam zu ihr, legte den Arm um ihre Schulter und küßte sie. Sie erwiderte den Kuß nicht, sondern machte sich gereizt los.
Was ist das? dachte Thomas verwirrt und trat einen Schritt zurück.
»Wie sieht es bei dir im Hospital aus?« fragte sie nüchtern.
»Schlimmer, als ich angenommen hatte. Pater Ernesto, Schwester Lucia und der Krankenpfleger Luigi haben bisher unter Umständen arbeiten müssen, die unvorstellbar sind. Was sie geleistet haben, ist fast ein Wunder. Ohne Spenden aus Europa sähe es noch katastrophaler aus. Jetzt liegt zum Beispiel ein Yanomami mit einem inneren Leistenbruch auf der Station. Ich kann ihn nicht operieren, ich habe keine Anästhetika und nicht die nötigen Instrumente.«
»Hilft dir Äther?«
»Auch das habe ich nicht.«
»Aber ich.«
»Luise, das wäre die Rettung!«
»Ich brauche den Äther für bestimmte Experimente.«
Sie lächelte ihn jetzt an. Sein Herz machte einen Sprung. Er hörte kaum, was sie sagte. »Nimm dir, was du brauchst.«
Dich brauche ich, dachte er. Nur dich. Aber er hielt sich zurück.
»Danke«, sagte er und bemühte sich, so nüchtern wie sie zu sprechen. »Doch bevor ich den Indio aufschneide, muß ich erst mit seinem Medizinmann sprechen.«
»Nimmst du mich mit, Tom?«
»Aber ja …«
Sei immer bei mir, dachte er wieder. Laß uns alles gemeinsam tun. Ich brauche dich, und du brauchst mich in dieser schönen, feindlichen, mitleidlosen Welt, in die wir freiwillig gegangen sind.
»Wann gehst du zu den Yanomami?« fragte sie und pustete eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
»Das wird mir Pater Ernesto sagen.« Er nagte an seiner Unterlippe, als er an die veralteten und abgestoßenen Instrumente im Schrank des Behandlungszimmers dachte. Natürlich gab es auch keinen OP-Tisch, keine OP-Lampen, keinen Instrumententisch – man würde aus dem Haupthaus der Mission einen Eßtisch holen und auf ihm den Yanomami aufschneiden. Und wer assistierte ihm? Ernesto oder Luigi, der Krankenpfleger. Ich werde Schwester Lucia nehmen; sie ist die einzige, die eine umfassende Ausbildung als Krankenschwester gehabt hat. Sie war in Padua sogar ein halbes Jahr OP-Schwester gewesen. Soll ich es wagen?
»Was machst du nach dem Mittagessen?« fragte er.
Luise hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Weiter auspacken –«
»Wir könnten eine Bootsfahrt machen.«
»Eine gute Idee. Aber bei der Hitze?«
»Gerade deshalb. Auf dem Fluß wird es kühler sein.«
Er
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