Das Regenwaldkomplott
Paddel in den Händen. »Das Ding ist unsinkbar, aber ich möchte nicht erleben, daß es kentert und wir im Fluß baden. Da sind wir in ein paar Minuten nur noch ein Skelett. Ein kleiner Piranhabiß, ein Tropfen Blut, und schon fallen Tausende über uns her. Da gibt es keine Rettung mehr. Haben Sie schon mal in einem Einbaum gesessen, Senhor?«
»Ja. Oft. Man muß ein gutes Gleichgewichtsgefühl haben.«
»Da bin ich beruhigt.«
Sie beschlossen, in aller Frühe am nächsten Morgen die Fahrt zu beginnen. Sinnend stand Gilberto am Ufer und betrachtete dabei den Handkompaß, den sie mitgenommen hatten.
»Probleme?« fragte Marco.
»Ja und nein. Wir wollten doch zur Missionsstation Santo Antônio?«
»Richtig.«
»Dann müssen wir flußaufwärts paddeln. Flußabwärts kommen wir völlig aus der Richtung. Das heißt, wir müssen den Fluß hinauf, das Kanu also gegen den Strom treiben.«
»Der Fluß ist ziemlich träge und hat nur wenig Strömung.«
»Hier. Aber wie ist es einige Kilometer weiter oben? Da kann es Stromschnellen geben. Das kenne ich.«
»Dann tragen wir das Kanu auf den Schultern an Land um die Schnellen herum bis zum wieder ruhigen Wasser.«
»Daran dachte ich auch. Es wird eine Höllenfahrt werden, Senhor. Viel Muskeln, wie ich sehe, haben Sie nicht.«
»Sie reichen aus, Gilberto.« Marco Minho lachte kurz auf. »Ich bin ein zäher Bursche, glauben Sie mir.«
»Na ja, vor allem haben Sie keine Angst. Das ist wichtig.«
Sie schliefen wieder im offenen Männerhaus in aus Palmfasern und Lianen geknüpften Hängematten und erwachten beim ersten Morgenlicht. Aus dem Regenwald schallte das Affengeschrei. Farbenprächtige Grünflügelaras und ein herrlicher Arakanga saßen auf den Giebeln zweier Hütten. Vier Goldsittiche spreizten ihre goldgelben Federn mit den blauen Handschwingen in der noch feuchten, aber warmen Luft.
In den vergangenen drei Tagen bei dem Indiostamm war es Marco möglich gewesen, sich mit der neuen Hunderasse und der unbekannten Schildkrötenart zu befassen. Da er seine Kamera nicht mitgenommen hatte, arbeitete er so wie seine berühmten Vorgänger, wie zum Beispiel Alexander von Humboldt oder Henry Walter Bates, der Mitentdecker der Mimikry. Er zeichnete die neuen Tiere im Detail und als Ganzes und beschrieb sie genau. Da er kein Papier hatte, ließ er sich einige von den Indiofrauen aus Palmfasern gefertigte dünne Matten geben, die sonst als Unterlage beim Zerstampfen und Mahlen der Maniokwurzeln dienten.
Die unbekannten Hunde waren in diesen drei Tagen zutraulich geworden, hatten Marco umringt, während er sie zeichnete, hatten sich die Länge ihrer Segelohren messen lassen, den Schwanz und das Gebiß, das wirklich mehr dem eines Piranhas glich als dem eines Hundes. Sie waren, nachdem sie sich an den Geruch der Fremden gewöhnt hatten, so friedlich, daß Marco in seine Beschreibung aufnahm: Ihres freundlichen Charakters wegen und ihrer Gabe, schnell Freundschaft mit den Menschen zu schließen, sind sie als Wachhund kaum zu gebrauchen.
Das war ein Irrtum, wie sich später herausstellte, aber zu dieser Zeit wußte es Marco Minho noch nicht.
»Wir können alles verlieren«, sagte er am Vorabend ihrer abenteuerlichen Kanufahrt den Fluß hinauf, »nur nicht meine Zeichnungen. Gilberto, können Sie nicht anhand des Kompasses unseren Standort bezeichnen? Ich muß eines Tages hierher zurück.«
»Unmöglich. Das hier ist ein ganz gewöhnlicher Kompaß, der nur die Himmelsrichtung anzeigt, aber kein Peilkompaß. Die einzige Chance, das Dorf wiederzufinden, ist die Entdeckung meines Flugzeuges im Baumwipfel. Und das ist sehr fraglich, denn wir sind weit weg von den normalen Flugstraßen. Ich habe Ihnen ja gesagt, ich wollte den Weg abkürzen. Hier sucht keiner.«
»Aber wir wissen die grobe Richtung.«
»Wollen Sie einige hundert Quadratkilometer Urwald absuchen? Eher finden Sie ein Schwein, das Tango tanzt.«
Als hätte es der Häuptling geahnt, war auch er so früh auf den Beinen und kam mit seinem zehnjährigen Sohn zum Männerhaus herüber. Mit einem breiten Grinsen demonstrierte er, wie schnell er den Umgang mit einer Machete gelernt hatte. Mit einem gewaltigen Hieb schlug er den Stamm einer in der Nähe wachsenden Bananenstaude durch und hob dann die Machete hoch in die Luft wie ein Sieger.
»Er wird schon längst daran gedacht haben, daß man damit auch Menschenköpfe abhauen kann«, meinte Gilberto und nickte dem Häuptling anerkennend zu. »So ist es immer: Alles
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