Das Reich der Dunkelelfen - Weltennebel
aufgenommen.«
»Das ist mehr als dreihundertfünfzig Sommer her, Großvater, und inzwischen lebt Dak’Avan auch nicht mehr, wie ich bereits sagte«, stellte Zir’Avan richtig, woraufhin die triumphierende Miene des Greises in sich zusammenfiel.
»Oh, welch ein Verlust! Wie starb er denn?«
»Ein Mhortarra«, stöhnte der Dunkelelf.
»Ein ehrenvoller Tod.«
Die ganze Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik, aber Aramia machte sich inzwischen ernsthafte Gedanken darüber, ob sie sich wirklich sinnvolle Antworten von ihrem Urgroßvater erhoffen durfte.
»Urgroßvater«, begann Aramia nun sanft, »wir waren auf der Geisterinsel und haben das Orakel befragt. Es schickte uns hinab ins Unterreich und sagte, ein Dunkelelf, der Mitglied der Diomár ist, könnte uns helfen.«
»O ja, die Diomár«, freute sich der Greis, »ich war einer von ihnen …« Dann stockte er und riss plötzlich seine dunklen Augen auf. »Ich törichter Narr, das durfte ich nicht preisgeben. Möge Marvachân mich strafen, ich habe meinen Eid vergessen!« Der alte Mann fing an, sich mit einer Schriftrolle auf den Kopf zu schlagen, und nach einem Moment der Verwirrung hielt Aramia seine Hand fest.
»Nicht doch, Merradann selbst wollte, dass wir einen Dunkelelfen der Diomár suchen, also wird dein Orden auch nichts dagegen haben, wenn du es uns sagst.«
»Merradann?« Ray’Avan blinzelte wie eine alte, runzlige Eule, dann lachte er auf. »Ha! Das Orakel.«
Aramia nickte geduldig und versuchte nun, äußerst mühselig und von zahlreichen Wiederholungen unterbrochen, ihrem Urgroßvater zu erklären, dass sie dringend die Karte benötigten, auf der die Portale in andere Welten verzeichnet waren. Außerdem sagte sie, das Orakel habe gemeint, auch die Chroniken der Northcliffs seien im Besitz eines Dunkelelfen, und sie hofften, dass er der Gesuchte wäre.
Während Zir’Avans Gesicht deutliche Zweifel zeigte, beobachteten Darian und sein Bruder die Szene gespannt. Als Ray’Avan plötzlich – für sein Alter sehr geschmeidig – aufsprang und auf eine seiner zahllosen Truhen zueilte, konnten sie kaum glauben, was sie hörten.
»Ja, ja, damals am Tag der großen Feuer, alles ging in Flammen auf«, murmelte der alte Mann. »Streit hatte es gegeben innerhalb der Diomár, großen Streit. Natürlich war Jarredh der rechtmäßige Erbe der Northcliffs, aber einige Narren ließen sich von Edevans angeblichen Nachkommen bestechen.« Ray’Avan spuckte auf den Boden. »Menschliche Narren, alle miteinander, und auch die Zwerge. Dummköpfe, von Gier und dem Glitzern des Goldes in ihren Augen gezeichnet. Die Diomár gab es nur, um das Leben der von den Drachen Gesegneten zu dokumentieren und die Geschehnisse Albanys zu beobachten, nicht um selbst Macht zu gewinnen. Doch sie missbrauchten ihr Wissen, glaubten dadurch Einfluss ausüben zu können und löschten sich letztlich gegenseitig aus. Narren …«
Zir’Avan trat zu dem alten Mann. »Großvater, warst du tatsächlich an jenem Tag auf der Geisterinsel?«
»Natürlich. Denkst du etwa, ich habe mir das ausgedacht?«
Zweifel standen in Zir’Avans hagerem Gesicht.
»Ich kann mich doch daran erinnern, was vor nicht einmal achtzig Sommern geschah!«, empörte sich Ray’Avan.
»Die Feuer auf der Geisterinsel liegen über dreihundert Sommer zurück.«
»Ach, sieh einmal an, die Zeit scheint zu fliegen.« Erneut begann der Greis in seinen Schriftrollen zu wühlen, und Aramia tauschte mit ihren Gefährten fragende Blicke.
»Die Chroniken von Northcliff, ich nahm sie an mich«, grummelte ihr Urgroßvater jedoch vor sich hin, was Aramia mit einer vagen Hoffnung erfüllte. »Nicht alle, denn vieles verbrannte, aber die Bücher nahm ich an mich.«
Gespannt beobachtete Aramia ihren Großvater, und sie bemerkte auch die Aufregung in Darians und Atorians Gesichtern. Sollten sie jetzt tatsächlich hier in den Tiefen der Erde auf die legendären Chroniken stoßen? Mit geistesabwesender Geschäftigkeit begann Ray’Avan in seinem Chaos herumzuwühlen. Schriftrollen und uralte, verstaubte Dokumente wanderten von der Truhe auf den Höhlenboden, und Aramia, Darian und Atorian knieten sich neben den vor sich hin murmelnden Urgroßvater, um sicher zu gehen, dass er nicht möglicherweise eine Chronik übersah. Nachdem der alte Mann zwei weitere Truhen durchwühlt hatte, hatten sie die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, aber dann stieß Ray’Avan einen triumphierenden Ruf aus und hielt eine vergilbte
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