Das Reich der Dunkelheit
Geschichten ausgedacht haben. Und viele Regisseure haben Filme über Gespenster gedreht, die ins Leben zurückkehren …“
„Aber wir reden jetzt nicht über Filme, sondern über Wissenschaft …“
„Wissenschaft? Sie erzählen mir doch die ganze Zeit etwas über Dinge, die nur in Romanen oder Filmen vorkommen oder auf Bildern zu sehen sind …“
„Kennst du den französischen Maler Ingres?“ Er steht auf und geht zu einem Bücherregal, nimmt ein Buch heraus und schlägt es auf. „Hier, sieh mal, er hat ein Bild gemalt, es heißt Ossians Traum … Es stellt einen schlafenden Mann dar, der von Kriegern und schönen Frauen träumt, die er aus dem Jenseits herbeigerufen hat.“
Im Vordergrund des beeindruckenden Bildes ist ein Mann zu sehen, der scheinbar friedlich schläft, während ihn Krieger und weibliche Wesen umkreisen, die seinem Kopf entstiegen sein könnten. Ein wahrer Totentanz!
„Aber er gehört doch nicht zu den Kriegern, die aus der anderen Welt kommen“, bemerke ich.
„Woher weißt du das? Woher willst du wissen, ob der bewaffnete Mann hier mit dem Helm auf dem Kopf nicht der Schlafende selbst ist?“
„Na ja, man kann letzten Endes alles so deuten, wie man will.“
„Es geht nicht darum, ob ich recht habe. Ich will dir damit nur sagen, dass deine Träume möglicherweise aus deinem tiefsten Innern stammen. Dass sie bisher unentdeckt in dir geschlummert haben und jetzt aus irgendeinem Grund an die Oberfläche kommen.“
Ich schaue mir das Bild von Ingres aufmerksam an und denke darüber nach, was Doktor Vistalegre gesagt hat. Ein Mann träumt vonToten und möglicherweise von sich selbst. Sehr seltsam … Vielleicht geschieht mit mir dasselbe. Träume ich von Menschen, die schon lange tot sind?
„Viele Künstler sind besessen vom Jenseits“, fährt Cristóbals Vater fort. „Tausende von ihnen haben Romane und Gedichte darüber geschrieben, Bilder gemalt, Lieder und Opern komponiert … Du musst begreifen, dass deine Träume möglicherweise etwas mit dem Leben der anderen zu tun haben, dass sie dich irgendwo anders hinführen …“
„An den Abgrund des Todes!“, rufe ich aus, ohne nachzudenken.
„Was? Was hast du da gesagt?“
„An den Abgrund des Todes.“
„Wie kommst du darauf?“
„Keine Ahnung, wahrscheinlich habe ich es aus irgendeinem Film oder Buch …“
„Oder aus deinen Träumen?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hab ich’s ja nur irgendwo gehört.“
„Hör zu, Arturo, ich möchte dich bitten, mich zu dem Kongress zu begleiten. Vielleicht ist da wirklich jemand, der uns weiterhelfen kann“, sagt Doktor Vistalegre mit seltsam glänzenden Augen, in denen irgendwie auch so etwas wie Angst liegt. „Ich weiß nur eines: Wir müssen dein Problem lösen! Komm mit und erzähl den Experten, was dir passiert. Bestimmt wird sich jemand für dich interessieren.“
***
I CH BETRETE DAS Café, in dem ich mit Metáfora verabredet bin. Sie sitzt ganz hinten an einem der großen Fenster.
Um Zeit zu gewinnen, ziehe ich meine Jacke langsam aus und lasse sie auf den Boden fallen.
„Hallo! Entschuldige bitte, dass ich mich verspätet habe“, sage ich und setze mich auf den Stuhl ihr gegenüber.
„Du kommst zu spät und bist nervös“, stellt sie fest. „Wo warst du? Oder willst du es mir nicht sagen?“
„Doktor Vistalegre hat mir vorgeschlagen, mit ihm auf einen internationalen Kongress zu gehen, um dort meinen Fall vorzutragen. Bist du jetzt zufrieden?“
„Warst du allein bei ihm? Warum hast du mich nicht angerufen?“
„Metáfora, bitte, ich bin alt genug, um allein zum Arzt zu gehen“, entgegne ich. „Außerdem geht das nur mich etwas an.“
„Komm mir jetzt nicht mit so einem Quatsch! Nach allem, was wir schon zusammen erlebt haben! Ich bitte dich …“
Ich ziehe es vor, nicht zu antworten. Vielleicht hat sie ja recht, aber ich kann ihr doch schlecht sagen, dass ich sie nicht dabeihaben wollte!
„Du wolltest alleine hingehen“, sagt sie, als hätte sie meine Gedanken erraten, wie schon so oft.
„Na ja, ich …“
„Und worüber habt ihr gesprochen?“
„Das hab ich dir doch gerade gesagt.“
Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an und überlegt sich, was sie darauf sagen soll. Bestimmt nichts Nettes.
„Und darum bist du so nervös? Erzähl mir doch nichts!“
Jetzt bin ich es, der die Augen zusammenkneift und sich überlegt, was er ihr antworten soll.
„Kennst du einen Maler namens Ingres? Das ist ein Franzose, der ein
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