Das Reich der Dunkelheit
weißt es! Du lügst mich an!“, schreit Metáfora, außer sich vor Wut. Gleich wird sie anfangen zu weinen. „Du bist eine Lügnerin!“
Norma sieht meinen Vater an, und er erwidert ihren Blick. Jetzt sind wir alle in einem Netz von Blicken gefangen, wie in einem Spinnennetz.
„Ich glaube, wir gehen jetzt besser“, murmelt mein Vater. „Es ist spät geworden.“
„Nein, bleibt ruhig!“, fordert Norma uns auf und nimmt noch einen Bissen von der Torte. „Jetzt ist der richtige Moment gekommen,um die Wahrheit zu sagen. Und ich möchte, dass auch ihr sie hört. Früher oder später musste Metáfora sie ja doch erfahren. Sie hat ein Anrecht darauf, alles zu wissen.“
Wir lehnen uns zurück. Es sieht ganz so aus, als gäbe es viel mit anzuhören.
„Du erinnerst dich doch sicher noch daran, dass du vor vielen Jahren sehr krank warst …“ Metáfora nickt.
„Kein Arzt konnte uns sagen, was dir fehlte. Zuerst war von einem Virus die Rede, dann von einer degenerativen Erkrankung, einer Rückbildung der Zellen und des Gewebes. Aber es wurde nie eine eindeutige Diagnose gestellt. Lange Zeit lagst du im Koma. Es gab Tage, an denen wir das Gefühl hatten, du wärst tot. Und dann wieder sahen wir, dass du atmetest. Wir hatten uns im Grunde schon damit abgefunden, dass du sterben würdest. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens.“
Norma trinkt einen Schluck Wein.
„Dein Vater und ich waren verzweifelt. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Wir haben gebetet. Wir haben Gelübde abgelegt, die wir unmöglich erfüllen konnten. Wir haben alles Geld ausgegeben, das wir hatten. Wir haben unser Haus verkauft und Kredite aufgenommen, aber kein Arzt war imstande, den Grund für deine Erkrankung herauszufinden. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie verzweifelt wir waren.“
Ich sehe, dass Metáfora feuchte Augen hat. Sie legt eine Hand auf die ihrer Mutter.
„Das tut mir leid, Mama …“
„Dich trifft keine Schuld. Etwas Bösartiges, Unbekanntes war in deinen Körper eingedrungen, und es gab keine Möglichkeit, es zu verjagen. Nach vielen Monaten der Angst schlug Román vor, einen Wunderheiler hinzuzuziehen. Er habe einen ausfindig gemacht, sagte er, der bereits viele ähnlich komplizierte Fälle erfolgreich behandelt habe. Ich war so verzweifelt, dass ich zustimmte … auch wenn ich niemals an übernatürliche Kräfte geglaubt habe und nie glauben werde. Der Mann kam also eines Abends zu uns. Er hatte einen offenen, aufrichtigen Blick, eine einschmeichelnde Stimme und ausgezeichnete Manieren. Nachdem wir eine Weile miteinander geredet hatten, gingen wir in dein Zimmer und …“
Norma trinkt wieder einen Schluck Wein und stochert mit ihrem Löffelchen im Kuchen herum, um schließlich einen kleinen Bissen davon zu nehmen. Dann trocknet sie sich die Tränen.
„Er hat mich um etwas sehr Merkwürdiges gebeten. Ich sollte eine brennende Lampe hinter ihm aufstellen und dafür sorgen, dass es keine andere Lichtquelle im Zimmer gab. Ich tat, was er sagte, und dann fiel sein Schatten auf deinen Körper. Er selbst hat dich nicht einmal berührt. Allein der Schatten war die Verbindung zu dir und deiner Krankheit … Nach ein paar Minuten stand er auf und verließ wortlos die Wohnung. Ich habe ihn nie mehr wiedergesehen.“
„Hat er nicht irgendeine Diagnose gestellt?“, fragt mein Vater. „Keinen Rat gegeben?“
„Nicht ein Wort hat er zu uns gesagt. Es war, als hätte es ihm die Sprache verschlagen! Wir waren natürlich umso besorgter. Jetzt hatten wir niemanden mehr, an den wir uns wenden konnten. Román und ich fingen an, uns zu streiten und …“
„Daran erinnere ich mich noch“, sagt Metáfora. „Einmal bin ich kurz zu mir gekommen, und da habe ich gehört, wie er dir Vorwürfe gemacht hat. Ich lag im Sterben, und er hat mit dir geschimpft!“
Norma gibt keine Antwort. Ich weiß nicht, was in diesem Moment in ihrem Kopf vorgeht, aber ich bin mir sicher, dass Metáforas Bemerkung ihr wehgetan hat. Sie scheint tief getroffen.
„Jedenfalls hielt er es eines Tages nicht mehr aus und ging fort. Ließ uns einfach alleine in unserer Not. Kurz darauf rief mich ein Anwalt an, um mir mitzuteilen, dass Román die Druckerei verkauft habe und ich ein paar Dokumente unterschreiben müsse, um an sein Bankkonto zu kommen. Ihr seht, er hat dafür gesorgt, dass wir finanziell abgesichert waren.“
„Das war auch seine verdammte Pflicht!“, sagt Metáfora bitter. „Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er
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