Das Reich der Elben 01
Sphären. So wichtig die Vergangenheit sein mag, die Zukunft ist wichtiger.«
»Ich hatte gehofft, die Rolle des Schamanentums würde im Volk der Elben wieder an Gewicht gewinnen, wenn uns ein Mitglied der Königsfamilie als Novize beitritt«, bekannte Brass Shelian. »Zudem fehlt uns die spirituelle Leitfigur, seit Brass Elimbor nicht mehr unter uns weilt.«
»Habt Ihr versucht, wenigstens zu seinem Geist Verbindung zu halten?«, erkundigte sich Andir.
»Das haben wir.«
»Mit welchem Ergebnis?«
»Leider ohne Erfolg. Er wird sich den anderen Eldran im Reich der Jenseitigen Verklärung angeschlossen haben. Die Magie und die Macht des Geistes haben es schwer auf dem zwischenländischen Kontinent. Eine Aura, die die Magie unterdrückt, ist hier offenbar so allgegenwärtig wie die Luft zum Atmen, und sie scheint alles zu durchdringen.«
Vielleicht erhoffte sich Brass Shelian von dem jungen Königssohn trotz seiner Jugend eine Lösung oder zumindest einen Lösungsansatz für dieses Problem, denn Andir verfügte über ein deutlich spürbares magisches Talent. Jeder Elb, der nicht völlig abgestumpft war, registrierte diese helle Kraft, die er ausstrahlte. Eine Kraft, die gewiss noch geformt, beherrscht und konzentriert werden musste, aber an ihrem Vorhandensein gab es für niemanden einen Zweifel. Allerdings stand Andirs latente Kraft in einem diametralen Gegensatz zu Brass Shelians Beobachtung vom Schwinden der Magie.
Andir schwieg zwar zu Brass Shelians Feststellung, doch war er inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass sich die magische Aura des Zwischenlands einfach nur von jener unterschied, die in Athranor oder während der Seereise vorgeherrscht hatte; die Schamanen hatten vielleicht einfach nur größere Schwierigkeiten, sich auf diese neue Magie einzustellen. Dass ihm dies selbst um so vieles besser gelang, war für Andir hingegen keineswegs nur Grund zur Freude. Es erschreckte ihn sogar, denn die Verwandtschaft der magischen Aura des Zwischenlands mit jener, die er erspürt hatte, als er zusammen mit Magolas beinahe die Küste Naranduins angefahren hatte, war unverkennbar.
Oft verbrachte Andir tagelang in stiller Meditation, um seinen Geist daraufhin zu prüfen, ob etwas von der verderblichen Magie, mit der es sein Vater auf jener Insel des Schreckens zu tun bekommen hatte, vielleicht in ihm war, irgendwie eingedrungen von außen, um sich in ihm zu manifestieren.
Doch er fand nichts dergleichen, so sehr er sich auch in dieser
Hinsicht zu erforschen versuchte.
Seine Mutter Ruwen bemerkte die zunehmende Zurückgezogenheit Andirs, die ihr völlig unangemessen für einen Elben seines Alters erschien – gleichgültig, wie rasch dessen Reifungsprozess auch vorangeschritten sein mochte.
»In der Alten Zeit von Athranor hätte vielleicht niemand daran Anstoß genommen, wenn sich der Sohn des Elbenkönigs der geistigen Selbsterforschung widmet«, sagte sie eines Tages zu ihm und lächelte mild. »Zumindest, wenn man den Erzählungen der Alten Glauben schenken darf… Aber hier, im Zwischenland, ist vieles anders.«
»Und Ihr meint, es stünde mir gut an, mich mehr am Aufbau des Reiches zu beteiligen«, sagte Andir.
»Diesen Schluss hast du gezogen, mein Sohn.«
»Eure Worte legten ihn nahe, Mutter. Sagt mir ehrlich: War es mein Vater, der Euch zu mir schickte?«
»Nein, das brauchte er gar nicht. Ich las den Wunsch dazu in seinen Augen.«
»Ich hoffe, Ihr habt auch ansonsten genau in seine Augen geschaut«, entgegnete Andir – doch schon im nächsten Moment bedauerte er diese unbedachte Äußerung. Weder das, was zwischen ihm und Magolas während ihrer Seereise vorgefallen war, noch die erschreckende Schwärze, die Andir in den Augen König Keandirs gesehen hatte, waren jemals zwischen Andir und seiner Mutter zur Sprache gekommen. Es war, als wären beide Themen für ihn ein Tabu. Den genauen Grund dafür hätte Andir nicht zu sagen vermocht. Vielleicht weil er nicht wusste, wie weit der König seine Gemahlin in diese Dinge einbezogen hatte. Andir bezweifelte nämlich, dass er das getan hatte.
In diesem Punkt hatte er durchaus recht – und doch irrte er in seiner Annahme, dass Königin Ruwen völlig ahnungslos war.
»Ich weiß, dass du die Dunkelheit in den Augen deines Vaters gesehen hast«, sagte seine Mutter zu seiner maßlosen Überraschung, »und dass du nun befürchtest, dass in dir etwas Ähnliches zum Vorschein kommen könnte.«
Andir starrte sie fassungslos an. »Ich… wundere mich, dass er mit Euch
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