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Das Reich der Elben 01

Das Reich der Elben 01

Titel: Das Reich der Elben 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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kalte Schauder König Keandir durchrieselten.
Der Augenlose Seher kicherte wieder auf die ihm eigene Art. Mochte er auch blind sein, Keandir zweifelte nicht daran, dass er mit den geheimnisvollen magischen Sinnen, die ihm offenkundig eigen waren, das Erschrecken des Elbenkönigs bemerkte. Ein Erschrecken, das tief verwurzelt war in der Furcht seines Volkes, dass sich ein ähnliches Zeitalter der Rohheit und der reuelosen Gewalt wiederholen könnte.
»Ah, ich verstehe, was dich ängstigt«, sagte der Augenlose und lachte höhnisch, kalt und zynisch. War es möglich, dass ihn sein selbst für elbische Verhältnisse unvorstellbar langes Leben zu einem Wesen von so abgrundtiefer Boshaftigkeit gemacht hatte? Keandir überkamen Zweifel, ob er wirklich die Hilfe dieser Kreatur annehmen sollte.
Vielleicht war der Tod durch Lebensüberdruss, wie er unter den Elben immer mehr grassierte, ein Schutz davor, so zu werden wie diese uralte Kreatur. Was Keandir bisher als einen Fluch angesehen hatte, war möglicherweise ein Segen für die Elben, der sie vor einer solchen Boshaftigkeit und derartigem Zynismus bewahrte.
»Nun, das ist eine Frage des Blickwinkels, oh König der ahnungslosen Narren«, erklärte der uralte Seher.
»Ihr… Ihr lest meine Gedanken!«, rief Keandir, der sich dessen nun absolut sicher war.
»Nun, es ist vielmehr so, dass Ihr sie mir aufdrängt.«
»Es gibt nichts, wovor Ihr Achtung habt, nicht wahr?«
»In jedem vernunftbegabten Wesen ist mehr oder weniger stark die Macht des Tieres erhalten geblieben«, entgegnete der Seher. »Euer Volk glaubt vielleicht, es bezähmt zu haben. Aber das ist ein Irrtum, König Keandir.«
»So? Ist es das?«
»Auch bei Euch Elben braucht es nicht viel, um die dünne Tünche der Vernunft von Euren Seelen zu kratzen und das hervorzubringen, was darunter ist. Die pure Finsternis. Die Gewalt ohne Reue. Das Streben nach Macht um ihrer selbst willen. Die Lust an der Grausamkeit. Das, was Ihr an mir verabscheut, verabscheut Ihr in Wahrheit an Euch und Euresgleichen. Das solltet Ihr bedenken, bevor Ihr Entscheidungen trefft, unter denen Euer Volk vielleicht äonenlang zu leiden hat.«
»Ich will die Wahrheit wissen«, beharrte Keandir. »Sonst helfe ich Euch nicht!«
»Gleichgültig, was es Euch und die Euren kostet?«
»Ja.«
»Ihr seid ein Narr, Keandir. Aber ein nobler Narr. Es muss die besondere Natur Eures Volkes sein, die Euch so sprechen lässt. Aber ich sage Euch eines: Ihr Elben werdet nicht überleben, wenn Ihr das Tier in Euch länger verleugnet, anstatt es abzurichten wie einen Jagdfalken, sodass Ihr seine ungeheure Kraft für Eure Interessen nutzen könnt.«
»Ihr sprecht von schwarzer Magie und dem puren Bösen«, stellte Branagorn fest, der neben seinem König stand, aber offenbar die seltsamen Zeichen im Gesicht des Augenlosen nicht erkennen konnte.
»Schwarz oder weiß, gut und böse – das sind Begriffe, die in den Äonen an Bedeutung verlieren. Glaubt es mir. Ich habe lange genug gelebt, um das beurteilen zu können, während Ihr gerade erst erwacht seid.«
Die hypnotische Wirkung der sich verändernden Schattenlinien im Gesicht des Augenlosen verstärkte sich noch und nahm Keandir vollkommen gefangen. Innere Bilder drängten sich ihm auf. Er sah eine Vielzahl von tierhaften Schattengeschöpfen über eine Ebene ziehen. Fruchtbares, blühendes Land erstreckte sich, so weit das Auge reichte.
Gleichzeitig vernahm er die Worte des Sehers. »Mein Bruder Xaror und ich entstammten einer uralten Rasse. Wir waren die Letzten unserer Art. Daher übertrafen unsere Fähigkeiten und unser Wissen alles, was jenen Geschöpfen bekannt war, die damals das Zwischenland bewohnten. Es war ein Leichtes, sie zu manipulieren und die Herrschaft über sie zu erlangen, so einfältig wie ihre Natur nun einmal war. Ihre Geister waren schwach, ihr Wille leicht zu lenken, und ihre Magie kam über das Stadium des Experimentierens kaum hinaus. Viele Zeitalter lang dauerte unsere gemeinsame Regentschaft. Bis es meinem Bruder einfiel, allein herrschen zu wollen. Die Gesellschaft von Barbaren kann nun mal prägend sein, und die tierhaften Triebe jener Wesen, die wir unterworfen hatten, färbten wohl irgendwann auf Xaror ab.«
»Ihr selbst wart davon nicht betroffen?«, warf Keandir ein.
»Das überrascht mich.«
»Das habe ich nicht behauptet«, entgegnete der Augenlose.
»Aber bei meinem Bruder setzte diese Entwicklung wohl früher ein, und dies verschaffte ihm einen entscheidenden Vorteil, wie

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