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Das Reich der Elben 01

Das Reich der Elben 01

Titel: Das Reich der Elben 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Höhlendecke senkte sich eine Kette mit einem Haken über das Feuer. In diesen Haken hängte er den Metallbügel des Topfs. Dann hob er den Deckel ab und spuckte seinen ätzenden Speichel hinein. Es zischte, weißer Dampf wallte auf. »Der Furchtbringer wird bereits wieder stärker, aber ich werde dafür sorgen, dass wir Zeit genug haben.«
Und sodann begann er, Worte in einer Sprache zu sprechen, die Keandir und Branagorn nicht kannten, die aber archaisch, barbarisch klang. Harte Krächzlaute und dunkle Diphthonge
wechselten einander ab. Während der zahnlose Mund diese Worte einer wahrscheinlich uralten Sprache formulierte, hörten Keandir und Branagorn in ihren Gedanken die Übersetzung:
»Mächte des Berges und Mächte der Erde, haltet den Furchtbringer im Schicksalssee schwach, und ich werde euch dafür entlohnen mit einem Teil meiner Lebenskraft…«
Erneut spuckte der Augenlose in den Topf, und auf einmal schoss eine Flamme daraus empor bis zur Höhlendecke. Der Augenlose, der über dem Topf gebeugt war, zuckte gerade noch rechtzeitig zurück, sonst hätte das Feuer sein Gesicht getroffen. Die Schnelligkeit seiner Reaktion überraschte Keandir.
Ein Chor dumpfer, tiefer Stimmen ertönte, schwoll an und wurde schließlich zu einem ohrenbetäubenden Klangteppich, der selbst die Felsen erzittern ließ. In der grellen Flamme erschien ein Bild; es zeigte den Furchtbringer.
Der Riesenkrebs tauchte aus dem dunklen Wasser des Schicksalssees auf. Es war deutlich zu sehen, dass die Scheren durch Keandirs Schwerthiebe verstümmelt waren. Ein schriller Laut drang aus der Fressöffnung der Kreatur. Sie veränderte sich, wechselte die Gestalt: Tentakel bildeten sich, mehrere Köpfe – drei, vier, fünf Köpfe –, in deren Mäuler riesenhafte Zähne blitzten, und Wölbungen, bei denen noch nicht erkennbar war, zu was sie sich entwickeln würden. Bizarre Verwachsungen entstanden. Die Kreatur wurde zu einer Parodie des Lebens, einer Mischung aus Dutzenden von Geschöpfen, so schien es. Organe wucherten innerhalb von Augenblicken aus dem Körper heraus, krallenbewehrte Pranken, biegsame Tentakel und Säure verspritzende Rüssel entstanden. Aber sie alle bildeten sich immer nur für kurze Momente, ehe schließlich ein unförmiger Klumpen zurück in das dunkle Wasser tauchte. Ein Schwall von Gasblasen stieg an die Oberfläche.
Die dunkle Flut des Schicksalssees schloss sich über der Kreatur. Ein fernes Stöhnen war zu hören, und die Flamme, die aus dem Topf geschossen war, fiel in sich zusammen. An der Höhlendecke blieb ein dunkler verrußter Fleck.
Der Augenlose verharrte eine Weile lang völlig reglos. Er wirkte geschwächt. »Ihr habt den Furchtbringer schwer verwundet, König Keandir«, sagte er schließlich, und es klang beinahe anerkennend. »Einem Geschöpf Eurer Art hätte ich das nicht zugetraut.«
»Es war die pure Verzweiflung, die mich dazu trieb«, entgegnete Keandir.
Der Augenlose hob ruckartig den Kopf und wandte dem Elbenkönig das Gesicht zu. Er verharrte so, und der Schein des Feuers zuckte über sein Antlitz. Auf der pergamentartigen Haut mäanderten unzählige Falten und Linien, über die unruhig Schatten tanzten. Und diese Linien entwickelten auf einmal eine Art hypnotischen Sog, dem sich Keandir nicht entziehen konnte. Er spürte den fremden Einfluss, der sich seines Bewusstseins bemächtigte, und es war ihm unmöglich, sich dagegen zu wehren.
»Warum auch?«, hörte er die Geisterstimme des Augenlosen in seinem Kopf. Hatte der seine Gedanken etwa gelesen?
Keandir meinte auf einmal, dass sich aus den Schattenlinien Bilder formten – Bilder, die Keandir in ihrer Skizzenhaftigkeit an Höhlenzeichnungen erinnerten, wie es sie an manchen verwunschenen Orten der Alten Heimat gab. Keandir, der ein seegeborener Elb war, kannte sie, weil auch die Schamanen sie benutzten und als Zaubersymbole auf die Planken so manchen Elbenschiffs aufgetragen hatten. Die Originale in den Höhlen stammten – so sagten die Schamanen – aus den sogenannten Dunklen Zeitaltern, aus den Äonen also, in denen Tiere die Welt beherrscht hatten und die Kraft der Gedanken gerade erst erwacht war. Sie stellten Szenen aus einer archaischen
Vergangenheit dar, die so lange zurücklag, dass es selbst das
Vorstellungsvermögen der Elben sprengte.
Immer gespenstischer tanzten die Schattenlinien auf der Haut des Augenlosen, in denen Keandir Zeichnungen und Umrisse zu erkennen glaubte – die Umrisse von Wesen, deren Form so fremdartig war, dass

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