Das Reich der Elben 01
Elbenkrieger.
Keandirs Gedanken waren in diesem Moment bei seiner geliebten Ruwen und dem ungeboren Leben, das sie unter dem Herzen trug. So hoffnungsvoll hatte alles noch vor Kurzem ausgesehen, und jetzt stand der Elbenkönig seinem Ende gegenüber. »Ruwen, es tut mir leid, dass ich nicht zurückkehren werde!«, murmelte er. Vielleicht würde sie seine Worte als fernes Raunen einer verwandten Seele vernehmen. Vielleicht würde sie spüren, dass seine letzten Gedanken ihr und dem ungeborenen Kind gegolten hatten.
Fauchende Laute kündigten an, dass es nur noch eine Frage von Augenblicken war, bis die geflügelten Bestien wieder angreifen würden. Einige scharrten mit den Krallen ihrer Füße über den Felsen und quälten mit dem schrillen Kreischen, das dabei entstand, die empfindlichen Elbensinne.
Branagorn stöhnte unwillkürlich auf. »Ich frage mich, was diesen Hass gegen uns in ihre verdorbenen Herzen gepflanzt hat«, knurrte der junge Elbenkrieger verständnislos.
»Jedenfalls wollen sie offenbar nicht aufgeben, bis auch wir reglos im Staub liegen.« Keandir fasste sein Schwert Trolltöter mit beiden Händen.
Dunklen Schatten gleich näherte sich ein weiteres Dutzend geflügelter Affen. Jeder von ihnen hielt mehrere Speere oder Dreizacke in den Klauen. Im sanften Gleitflug steuerten sie auf das Felsplateau zu und landeten. Ihre Stimmen bildeten einen schrillen Chor. Offenbar verständigten sie sich in einer äußerst einfachen, barbarischen Sprache. Schließlich formierten sie sich. Die Spitzen der Speere und Dreizacke wiesen auf die beiden Elben.
Ein Hornsignal ertönte in der Ferne. Das mussten Sandrilas und seine Krieger sein, aber sie würden den Aufstieg nicht schnell genug schaffen, um ihrem König zur Seite stehen zu können.
Die Geflügelten stimmten auf einmal einen tiefen, grollenden Singsang an und bildeten einen immer enger werdenden Halbkreis um ihre beiden Opfer.
»Verteidigen wir uns so gut es geht, Branagorn«, sagte
Keandir, in dessen Zügen grimmige Entschlossenheit stand. Branagorn lachte heiser. »Was bleibt uns anderes, da wir
doch mit dem Rücken zur Wand stehen?«
Keandir machte einen Schritt vor. Er ließ dabei die Klinge so schnell durch die Luft schnellen, dass sie von einem bläulichen Leuchten umflort wurde. Die Angreifer stutzten und wichen zunächst wieder einen halben Schritt zurück.
»Seht Ihr, Branagorn?«, rief Keandir. »Wenigstens einen Verbündeten haben wir noch auf unserer Seite. Die Furcht nämlich, die der bisherige Verlauf des Kampfes bei den hässlichen Kreaturen ausgelöst hat.«
»Diese Furcht wird aber kein kampfentscheidender Trumpf sein, mein König«, murmelte Branagorn düster.
Im nächsten Moment stieß einer der Geflügelten einen barbarischen Schrei aus, der für die gesamte Horde das Signal zum Angriff war. Mit unglaublicher Wut fielen sie über die beiden Elbenkrieger her. Dutzende von Speerspitzen stachen auf Keandir und Branagorn ein, doch die scharfen Elbenschwerter hieben die hölzernen Schäfte einfach durch – und oft genug auch den Arm, dessen Hand sie führte. Schreie gellten, und der Tod fuhr schon nach wenigen Augenblicken erneut reiche Ernte ein. Grünliches schleimiges Blut spritzte, während Keandir seinen Trolltöter führte.
Doch die Übermacht war zu groß. Die beiden Elben verteidigten sich mit der Wut der Verzweiflung; von ihren durch die Luft schneidenden Klingen konnte man kaum mehr als den bläulichen Lichtflor sehen, so schnell wurden sie geführt, und sie sangen dabei ein sirrendes Todeslied.
Der Raum, der den beiden Verteidigern blieb, wurde jedoch immer enger. Ihre Rücken und Schultern drängten gegen den glitschig kalten, teilweise von übel riechendem Moos bewachsenen Fels – und dieser gab plötzlich nach!
Keandir taumelte und glaubte zu fallen. Nach ein paar Schritten aber hatte er wieder das Gleichgewicht gefunden. Mit Trolltöter in beiden Händen stand er da, während sich seine schräg stehenden Augen verengten. Sein Gesicht verlor für einen kurzen Moment die harten, wie in Stein gemeißelten Züge und zeigte den Ausdruck grenzenlosen Staunens.
Branagorn erging es nicht anders. Im ersten Moment stand der junge Elbenkrieger fassungslos da, das schmale, leicht gebogene Schwert bereits zum nächsten Schlag erhoben.
Sie hatten beide die Felswand durchdrungen, als wäre sie nichts!
Das Licht des trüben, nebelverhangenen Tages schimmerte von außen durch das auf magische Weise transparent gewordene Felsgestein. Für Keandir
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