Das Reich der Katzen (German Edition)
keksbraune
Nase witterte eine gut aussehende Katze schon, bevor sie in sein Blickfeld
trat.
Ben trieb sich zusammen mit Rouven, einem schwarzen Kater mit
weißen Stiefeln, herum. Rouven war das genaue Gegenteil von Ben: gutmütig bis
in die Schwanzspitze. Eine Seele von einem Kater. Er hatte nur einen Nachteil:
Er verbreitete einen derartigen Gestank, dass sich die Bäume bogen.
Während Ben mit Fleur redete, schritt er mit würdevoller Miene
auf und ab. »Das ist die haarsträubendste Geschichte, die ich je gehört habe«,
sagte er unruhig. »So haarsträubend, dass sie schon wieder wahr sein könnte.«
Man merkte seiner Stimme deutlich an, dass ihn Fleurs Schilderungen erschüttert
hatten.
Onisha betrachtete die anderen Katzen. Da war noch Rocky, ein
spindeldürrer schmutzig grauer Kater, der seinem Namen keine Ehre machte. Er
hatte nichts mit dem kraftvollen Boxer aus dem Hollywoodstreifen gemeinsam.
Rocky war ein Angsthase und Weichei, wie es im Buch stand. Onisha betrachtete
mitleidig sein struppiges Fell und die trüben Augen. Der Kater war ein Anblick
zum Steinerweichen. Er rührte Onishas Herz. Ihr Blick wanderte zu Twinky, einer
kleinen, zierlichen Schildpattkatze mit weißem Gesichtchen, das eine
herzförmige, rote Maske trug. Unter den Katzen galten Schildpatt als
Glückskatzen. Ob Twinky eine solche war, stand nicht fest, dafür aber, dass sie
ziemlich kapriziös war. Sie war in der Gruppe diejenige Katze, die am meisten
redete. Dabei lief sie unruhig auf ihren kleinen weißen Stiefelchen umher.
Immer darauf bedacht, Bens Blicke auf sich zu ziehen. Man sah ihr deutlich an,
dass sie bis über beide Ohren in ihn verliebt war. Doch Ben beachtete sie nicht
sonderlich, was Onisha erstaunte, denn Twinky war eine sehr hübsche Katze.
Onisha schüttelte sich. Was ging es sie an, ob Ben Twinky
beachtete oder nicht?
Sie betrachtete den Rest des Katzengrüppchens. Da war noch Corey,
ein stolzer Siam mit stahlblauen Augen und einer wunderschönen dunklen
Gesichtsmaske, die die Farbe der Augen noch mehr hervorhob. Er war ein lässiger
Kater mit stolzer Haltung, folgte dem Gespräch meist stumm und gab nur hin und
wieder einige kluge Kommentare ab. Dabei blieb er deutlich auf Distanz. Onisha
hatte das Gefühl, dass man mit Corey nicht so richtig warm wurde. Sie hätte es
nicht begründen können. Es war einfach da.
Als sich die Nacht wie ein dunkles Tuch über die Welt legte,
zogen sich die Katzen in den Schatten eines Baumes mit einer mächtigen Krone
zurück. Onisha döste erst im Dämmerschlaf dahin. Sie fragte sich, warum Fleur
so dicht neben ihr lag. So als wolle sie den anderen Katzen nicht zu nahe
kommen und sich mit Onisha von ihnen distanzieren. Das sah ihr nicht ähnlich.
Sonst suchte sie die Nähe anderer. Und sei es nur, um einen Streit vom Zaun zu
brechen. Onishas Geist wurde immer schwerfälliger, sackte ab und glitt in einen
unruhigen und beängstigenden Traum.
Fleur stand vor ihr. Hoch aufgerichtet im Mondschein. Sie
murmelte etwas in einer fremden Sprache, die Onisha nicht verstand. Es war eine
Art monotoner Sprechgesang, der mehr als unheimlich klang und immer mehr
anschwoll. Onisha wollte auf Fleur zugehen, aber gerade als sie den ersten Schritt
machte, begann deren Katzengestalt zu flackern, verlor an Kontur und formierte
sich neu. Onisha schrie auf. Fleurs Katzenkörper streckte sich und entwickelte
sich vor Onishas Augen zu einem schlanken Frauenkörper, auf dessen Hals ein
klassischer Katzenkopf mit hohen Backenknochen steckte.
»Die Katzengöttin!«, rief Onisha aufgeregt.
Die Gestalt sah sie mit traurigen blauen Augen an. Das Gefühl von
Unheil und Gefahr stieg in Onisha auf. Neben der Katzengöttin wurde ein
weiterer Schatten sichtbar: der undeutliche Umriss einer riesenhaften
Großkatze.
»Lavina«, sagte die Katzengöttin drohend. »Du wirst es nicht
wagen!«
»Und ob«, höhnte die Großkatze. »Sie wird das Schwarze Kloster
nicht erreichen. Nicht, solange ich lebe!«
»Sie ist die neue Katzengöttin. Meine Nachfolgerin. Du hast ihr
den gebührenden Respekt entgegenzubringen«, hielt ihr Bastet – Fleur? –
entgegen.
Lavina lachte hässlich. »Sie wird niemals das Reich der Katzen
erreichen. Niemals! Dafür werde ich sorgen. Und wenn es das Letzte ist, was ich
in meinem Leben zustande bringe.«
»Wer ist sie? Von wem redet ihr? Wer wird die neue Katzengöttin?
Ist es Fleur?«, wollte Onisha fragen, aber ihr Hals war wie zugeschnürt. Nicht
ein einziges Wort entfloh ihrer
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