Das Reich der Katzen (German Edition)
Verbindung zu Fleur genommen? Diese Frage begleitete sie den ganzen Tag
ihres weiteren Marsches. Onisha schlich in sich gekehrt zwischen Fleur und
Twinky her. Doch ihre Schweigsamkeit fiel nicht sonderlich auf, da alle gedankenversunken
dahintrotteten. Blackbird und seine Freunde flogen hoch über ihren Köpfen und
ließen ab und zu krächzendes Geschrei ertönen. Valentin trieb sie zur Eile an.
Onisha wusste, dass dies nötig war, verfluchte ihn aber insgeheim dennoch
dafür. Abends sank sie in tiefen bleiernen Schlaf. Hoffte, wenn sie die Augen
schloss, dass kein Traum sie heimsuchte. Aber das war natürlich nur
Wunschdenken. In dem Augenblick, als Onisha die Augen schloss, schlug Lavina
unbarmherzig zu. Wenn Onisha dann am nächsten Morgen wieder aufwachte, fühlte
sie sich wie durch einen Fleischwolf gedreht. Sie wusste, sie hatte geträumt,
aber sie konnte sich einfach nicht daran erinnern. Das machte sie nicht nur wütend,
sondern verunsicherte sie auch. Besonders nach Valentins Worten. Es war ein
furchtbares Gefühl, hilflos einer fremden Macht ausgeliefert zu sein. Lavina
hatte ihr eine Scheinwelt geschickt und Onisha fragte sich welche und wie sie
sich gegen den mentalen Zugriff wehren sollte, wenn sie nicht einmal wusste,
was Lavina bezweckte. Was sie im Schilde führte.
Auch Fleur und Twinky hatten geträumt und konnten sich ebenfalls
nicht daran erinnern.
»Merkwürdig«, sagte Twinky. »Lavina scheint nur uns Träume zu
schicken. Den Jungs nicht. Ob das Zufall ist?«
Fleur schüttelte den Kopf. »Wenn auch nur ein Fünkchen davon
stimmt, was ich so alles über sie gehört habe, ist bei Lavina nichts Zufall!«
Onisha erwiderte nichts. Ihr Blick streifte die Kater, in deren
Begleitung sie sich befanden. Ben rannte mit griesgrämiger Miene vor ihnen her.
Onisha hätte beinahe laut aufgelacht, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Was
für eine Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?«
»Keine Ahnung«, kicherte Twinky und konnte sich einen kleinen
Seitenhieb nicht verkneifen. »Vielleicht hat er von dir geträumt.«
Fleur schaute Onisha sprachlos an. Ihr Blick sagte soviel wie:
Seit wann seid ihr denn so dicke Freundinnen? Aber das war noch nicht alles. Da
schwelte noch etwas, was an Eifersucht grenzte. Onisha hatte Fleur in den
letzten Stunden mit Sorge beobachtet. Nicht nur mit Twinky war eine Wandlung
vor sich gegangen. Auch Fleur hatte sich verändert. Sie war fahrig und gereizt.
Geradezu hyperempfindlich. Aus der frechen Kämpferin war eine nervöse Xanthippe
geworden. Onisha hatte Fleurs verändertes Verhalten auf die Umstände und den
damit verbundenen seelischen Stress geschoben. Immerhin verarbeitete jeder
schwierige Situationen auf eine andere Art und Weise. Auch Rouvens Tod mochte
nicht schuldlos an Fleurs sprunghaften Launen sein. Er hatte sie mehr
getroffen, als sie zugegeben hatte. Aber Onisha hatte den tiefen Schmerz, der
von Fleur Besitz ergriffen hatte, gespürt. Nicht nur gespürt, sie hatte ihn
geteilt. Wenngleich sie durch das Licht, das das Henkelkreuz für einen Atemzug
eingehüllt hatte, seltsam getröstet worden war. Jenes Licht, von dem sie sich
immer noch fragte, ob es göttlicher Natur war. Selbst wenn das die nächste
Frage aufwarf – welche Gottheit dahinter stand. Onisha verdrängte den Gedanken
und sah Fleur verstohlen von der Seite an. Warum sagst du mir nicht, was dich
bedrückt?, dachte sie traurig.
Heller Sonnenschein machte den Tag freundlich und warm. Eine
Wärme, die bis tief ins Innere drang und die Onisha und ihre Freunde dankbar
aufnahmen. Onisha fühlte sich seltsam entspannt. Am Morgen war es ihr schwer
gefallen, sich von ihrer Traumwelt zu lösen und aufzuwachen. Sie hätte bis in
die Puppen pennen können. Schmunzelnd dachte sie, dass sie vor Monaten noch
eine andere Formulierung gebraucht hätte. Vor Monaten hätte Fleur es so
ausgedrückt , wisperte die Stimme in ihr, dafür hat sie jetzt deine
Arroganz . Onisha nickte unmerklich. Richtig, Fleurs und ihre Charakterzüge
schienen sich zu vermischen und eine neue Einheit zu bilden.
Die Luft wurde feuchter. In ihr tollten Heerscharen von Mücken,
die sich hin und wieder in das Fell der Katzen setzten und sich einen kleinen
Blutcocktail genehmigten. Die Mini-Vampire waren mehr als lästig, denn es gab
keine Möglichkeit, sie loszuwerden, wenn sie sich in dem dichten Fell
versteckten.
Aber das war nichts im Vergleich zu der Gefahr, die ihnen
plötzlich drohte. Ben blieb auf einmal auf dem Feldweg
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