Das Reich der Katzen (German Edition)
plötzlich einen Sinn. Darüber vergaß sie sogar eine Weile
Lavina und die drohende Gefahr, die von der Magierin ausging.
Fleur versetzte Onisha einen derben Knuff in die Seite. »Das ist
jetzt unsere Aufgabe«, flüsterte sie und ging zusammen mit Onisha an den
Heiligen Baum heran.
»Bastet und Sachmet.« Sie lasen ehrfürchtig die beiden Namen, und
als sie ihre Blicke hoben, sahen sie, wie sich der Schatten des Baumes immer
mehr verlängerte, wanderte und auf ein Bauwerk in der Ferne fiel.
Es war eine rote Pyramide.
Da gab es für sie kein Halten mehr. Nun stand fest: Das musste
die Rote Pyramide sein, die Grabstätte Bastets und Sachmets.
Dort würden sie auch den Thron der Katzengöttin finden.
Sie waren am Ziel ihrer Reise angelangt.
Sie liefen los, lachend und scherzend. Ungeheure Erleichterung
machte sich in ihnen breit. Wie es ein Ochse verspüren musste, der nach langen
Jahren vom Joch befreit wurde. Plötzlich waren wieder Kräfte in ihnen, die sie
längst versiegt wähnten. Fleur und Onisha liefen beinahe Nase an Nase mit Ben
voran. Endlich, dachte Onisha, endlich hat die Schinderei ein Ende. Und endlich
würden sie wissen, wer die Nachfolge von Bastet antrat. Wenngleich es für
Onisha schon feststand, dass es nur Fleur sein konnte, hatte sie in den letzten
Tagen und Wochen doch ihre Zweifel gehegt. Fleur war so merkwürdig
zurückhaltend gewesen, was nicht gerade ihrem Charakter entsprach. Dagegen war
Twinky noch aufmüpfiger und bestimmender als sonst. Vielleicht ist sie die
Nachfolgerin, durchzuckte es Onisha und sie dachte dann mit einem Anflug von
Galgenhumor, na, dann gnade uns Gott.
Sie rasteten erst nach drei Tagesmärschen für längere Zeit.
Nachdem sie immer nur kurze Pausen eingelegt hatten, waren sie am Ende ihrer
Kräfte. Die Rote Pyramide war schon zum Greifen nahe. Es war also eine letzte
Verschnaufpause vor dem großen Finale. Dessen war sich Onisha sicher. Sie legte
sich dicht neben Fleur. Suchte wieder häufiger deren Nähe. Und die Freundin
belohnte das mit zufriedenem Maunzen. Onisha legte sich auf den warmen Sand.
Eine Palme spendete ihnen dürftigen Schatten. Ben schnarchte schon, dass sich
die Palmblätter bogen, selbst Valentin, der sonst so ruhig wie ein Toter
schlief, gab kleine Grunzlaute von sich. Rocky und Lucky flüsterten auf Twinky
ein, die ein Auge geschlossen hatte und das andere ab und an unwillig öffnete.
Blackbird und seine Freunde hatten zwischen den Palmwedeln Platz genommen und
pickten eifrig an den süßen Datteln herum. Ab und zu fiel eine den Katzen auf
den Kopf, was besonders bei Twinky nicht gerade Heiterkeitsausbrüche
hervorrief.
Onisha wachte mitten in der Nacht auf. Bastet war ihr wieder im
Traum erschienen. Doch die Göttin hatte dieses Mal keinen Katzenkopf, sondern
ein Löwenhaupt gehabt.
Als Onisha Valentin danach befragte, wusste er auch darauf eine
Antwort. »Bastet und Sachmet ...« Er hielt inne und blickte Onisha unschlüssig
an. Als ob er nicht wüsste, ob es klug wäre, überhaupt weiterzusprechen. »Die
beiden waren eng miteinander verbunden. So eng, dass manche Völker sie als
Einheit sahen.« Er erhob sich. »Doch nun muss ich gehen. Ich habe etwas
Wichtiges mit Blackbird zu besprechen.«
Onisha hätte liebend gern gewusst, WAS Valentin und die Krähe zu
besprechen hatten, aber die beiden sonderten sich von den Katzen ab. Was
besonders für Blackbird mehr als ungewöhnlich war, da er ihnen immer etwas von
»Zusammenhalt ist das oberste Gebot« predigte. Und jetzt hatte er
offensichtlich Geheimnisse vor ihnen.
Ein Bild blitzte vor Onishas geistigem Auge auf: Blackbird als
Ba. Als Vogel mit Menschenkopf.
»Du steckst voller Geheimnisse, mein Freund. Wann lüftest du sie
endlich?«
Sie hatte die Worte für die anderen unverständlich vor sich hin
gemurmelt und doch fuhr Blackbirds Kopf herum. Seine dunklen Augen sahen sie
prüfend an. So als wolle er herausfinden, was Onisha bereits über ihn wusste.
Doch er konzentrierte sich wieder auf Valentin, der eifrig auf ihn einsprach.
Onisha wurde es allmählich zuviel. Auch Twinky und Fleur zogen lange Gesichter.
Onisha sprang auf. Sie war nicht mehr gewillt zu warten. Ihren buschigen
Schwanz hoch erhoben stolzierte sie zu Blackbird und Valentin und hörte gerade
noch, wie der Kater sagte: »Es wird nicht leicht, aber ...« Er verstummte, als
er Onisha kommen sah, und lächelte sie an.
Gerade dieses Lächeln schürte ihren Zorn. Hielt er sie für
Weitere Kostenlose Bücher