Das Reich der Katzen (German Edition)
kann. Immerhin ist
Lavina in der Nähe.« Valentin seufzte. »Und was mich besonders stutzig macht,
ist die Tatsache, dass sie bisher noch nicht aufgetaucht ist. Warum lässt sie
uns in Ruhe? Das sieht ihr nicht ähnlich.«
»Vielleicht ist ihr böser Zauber in diesem Tal unwirksam oder
zumindest geschwächt«, meinte Rocky.
»Das sind zu viele ‚vielleicht‘. Darauf können wir uns nicht
verlassen« Valentin blickte Blackbird an. »Ich werde mit meinen Brüdern
sprechen.«
Nach weniger als einer halben Stunde kehrte Valentin zurück. Sein
Gesichtsausdruck war düster, aber er lächelte, als er die Katzen sah. »Meine
Brüder haben entschieden, euch zu helfen. Heute um Mitternacht werden wir den
Zirkel begehen und Re um Hilfe bitten.«
Onisha fühlte, wie die Aufregung bei der Vorstellung, Zeuge des
Spektakels zu werden, in jede einzelne Körperzelle floss. Sie hatten schon
einmal einen Zirkel der Kater beobachtet. Damals in dem Schwarzen Kloster. Da
hatten sie nicht verstanden, worum es ging. Auch wenn sie jetzt nicht viel
klüger waren, hatten sie zumindest den Hauch einer Ahnung, was sich abspielen
würde.
Einige Stunden später, als die Sonne rot glühend untergegangen
war, versammelten sich Valentin und seine Brüder. Lange Zeit geschah nichts.
Onisha betrachtete enttäuscht die Kater, die in ein angeregtes Gespräch
vertieft waren. Warum fingen sie nicht an? Die Zeit drängte doch! Aber Onisha
musste lernen, dass alles im Leben zum rechten Zeitpunkt geschah, den es abzuwarten
galt. So auch der Zirkel der schwarzen Kater, der sich genau Punkt Mitternacht
formierte. Wie schon beim ersten Mal begannen die Kater einen fremdartigen
Singsang, steigerten die Lautstärke und bewegten ihre Oberkörper im Takt der
immer schriller werdenden Tonfolgen. Die Zeremonie glich der ersten aufs Haar.
Mit einem entscheidenden Unterschied: In dieser Nacht riefen sie nicht Osiris,
sondern den Sonnengott Re an.
Valentin erhob sich, schritt würdevoll an einen Stein heran und
setzte sich darauf. Blickte von seinem erhöhten Sitz auf seine Brüder herab und
nickte kurz mit dem Kopf.
Der Singsang verstummte sofort.
Valentin hob sein fein geschnittenes Katzengesicht zum Himmel.
»Re, Gott, der über alle Wesen herrscht, Schöpfer der Welt, hilf uns. Hilf uns
im Kampf gegen den roten Vogel und wer immer ihn geschickt hat. Sende uns einen
Gegenzauber«, rief er mit fester Stimme.
Plötzlich strahlte am nachtdunklen Himmel ein helles Licht. Es
kam langsam näher, nahm an Größe zu und schwebte über dem Kreis der Kater. Es
war eine geflügelte Sonne, deren wohliges Licht alles um sie herum erwärmte.
Onisha schloss geblendet die Augen. Doch nur kurz, sie wollte nichts von dem
versäumen, was sich jetzt ereignen würde.
Die geflügelte Sonne flatterte um den Kreis der schwarzen Kater,
letztlich auch um Valentin, berührte jeden mit seinen güldenen Schwingen. Und
dann schrien Onisha und Fleur leise auf: Anstelle der Kater saßen mit einem Mal
Mönche in dunkle Kutten gehüllt da. Valentin immer noch auf dem Stein, die
anderen Männer saßen im Schneidersitz auf dem Boden und bewegten sich nicht.
Valentin sprang geschmeidig auf und hob die Arme gen Himmel. »Ich
danke dir, Re«, rief er der geflügelten Sonne zu, die langsam am dunklen Himmel
verschwand. Onisha fragte sich, wofür sich Valentin bedankte. Sie hatten sich
lediglich in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt. Was sollte ihnen das
groß nützen? Wenngleich die Männer durch ihre Größe dem roten Vogel jetzt
zumindest körperlich überlegen waren. Aber wenn tatsächlich Lavinas Zauber im
Spiel war, würde das nicht genügen.
Valentin kam zu ihnen herüber. Sah auf die Katzen herab und sagte
lächelnd: »Es kann losgehen.« Er sah sich um. »Blackbird, wo bist du?«
Blackbird hüpfte von Ben weg, mit dem er heftig diskutiert hatte.
»Hier bin ich«, rief er und klapperte übermütig mit dem Schnabel. »Du hast dich
aber verändert, mein Freund. Und ich muss sagen, ich bin hocherfreut über die
Entwicklung.« Er deutete eine höfliche Verbeugung an.
Valentin lachte. »Seit wann so förmlich?«
»Seit du zwei Meter größer bist als ich.«
Valentins Lachen dröhnte über sie hinweg. »Das ist leicht
übertrieben.« Er wurde ernst. »Und nun zu meinem Plan.«
Der Plan gefiel den Katzen ganz und gar nicht.
»Es ist zu gefährlich. Blackbird geht das größte Risiko ein ...«
Ben machte eine Pause. »Und er ist mit Verlaub gesagt der Kleinste von
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