Das Reich der Katzen (German Edition)
so
beschränkt, dass man sie mit einem Lächeln abspeisen konnte? »Na«, sagte sie
mit unnatürlich lauter, tiefer Stimme. »Seid ihr bald fertig mit eurer
Geheimniskrämerei?«
Blackbird versuchte es mit dem dämlichsten Scherz des Universums:
»Reg dich nicht auf. Du weißt doch, Frauen können alles essen, müssen aber
nicht alles wissen.«
Onisha verzog das Maul. »Ist das deine ganze Lebensweisheit,
VOGEL?« Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Das war nicht mehr die ihre. Sie
war älter, näselnder und hatte einen fremdartigen Akzent. »Ich glaube, es ist
an der Zeit, dich in deine Schranken zu verweisen. Du wirst allmählich
größenwahnsinnig, VOGEL!«
Onisha und Blackbird zuckten gleichzeitig zusammen. »Was war
das?«, fragte sie wieder mit ihrer eigenen Stimme. Ihr soeben noch neu
gewonnenes Selbstbewusstsein war schlagartig dahin. Sachmet , wisperte es
in ihr, Sachmet, strafe ihn .
Onisha schüttelte sich. Sie wollte das nicht. War nie gewalttätig
gewesen und würde es auch durch diese aufdringliche Stimme nicht.
»Das möchte ich auch gerne wissen.« Blackbirds Stimme klang
verunsichert.
Valentin öffnete den Mund, aber bevor er auch nur einen Satz
herausbringen konnte, fiel Onisha ihm schon ins Wort. »Ich finde es mehr als
bedenklich, dass ihr Geheimnisse vor uns habt.« Sie sah Blackbird an. »Hast du
nicht immer am lautesten geschrien, wir müssten offen und ehrlich miteinander
sein? Ich bin wirklich tief enttäuscht.«
Sie drehte sich um, erwartete eigentlich nicht, dass einer der beiden
sie zurückhielt, und war doch erleichtert, als Valentin rief: »Nicht so
schnell, junge Dame!« Der Tonfall seiner Stimme verriet, dass er verärgert war.
Onisha drehte sich langsam zu ihm und war sich bewusst, dass ihn
das noch mehr reizen musste. Die Unmutsfalte auf Valentins Stirn zeigte
deutlich, wie richtig ihre Vermutung war. »Wie kommst du darauf, dass wir
Geheimnisse vor euch haben, und warum dieser unfreundliche Tonfall?«
Onisha senkte den Blick. Es war mehr eine Geste als innere
Überzeugung. Aber das wusste Valentin ja nicht. Onisha sah ihn unter halb
geschlossenen Augenlidern hervor an. »Warum steht ihr dann abseits und
tuschelt, wenn ihr nichts zu verbergen habt? Und warum vergeudet ihr kostbare
Zeit, wo wir doch weiterziehen wollen? So kurz vor dem Ziel.«
»Woher willst du wissen, dass wir schon kurz vor dem Ziel sind?«
»Sind wir es denn nicht?«, fragte Onisha zaghaft.
»Das weiß ich nicht. Wir werden sehen.« Valentin seufzte. »Aber
ich hoffe es. Allmählich bin ich es müde ...« Er brach ab und machte eine
wegwerfende Bewegung mit der Pfote.
Blackbird nickte ihm aufmunternd zu, dann sah er Onisha
misstrauisch an. »Lass uns gehen, die Rote Pyramide wartet.« Er schwang sich in
die Lüfte, und als die Katzen losmarschierten, gab er seinen gefiederten
Freunden das Zeichen zum Aufbruch.
Sie erreichten die Pyramide in wenigen Stunden. Ebenso schnell
fanden sie den Eingang. Es ging alles verhältnismäßig schnell und leicht. Zu
leicht?
Onisha hatte nicht mehr die Gelegenheit, sich zu freuen. Gerade,
als sie in die Pyramide eindringen wollten, versperrte ihnen ein gigantischer
roter Vogel mit bösen schwarzen Kohlenaugen den Weg.
»Das auch noch ... Das ist kein gutes Zeichen«, flüsterte
Blackbird. »Rote Vögel sind schlechte Vögel.« Er hüpfte einen Schritt vor. »Na,
das werden wir gleich haben.«
»Was soll das? Bleib hier«, rief Valentin. »Was willst du tun?«
Blackbird drehte sich um. »Ihn fragen, was er von uns will.
Besser noch, was er mit uns vorhat.«
Onisha bewunderte den Mut der Krähe. Der rote Vogel hatte die
Ausmaße eines ausgewachsenen Ochsen. Sie waren ihm haushoch unterlegen. Selbst
die Gemeinschaft machte sie in diesem Moment nicht stark.
Der Vogel, dessen Gefieder wie warmes Blut glänzte, öffnete den
Schnabel und stieß einen sirrenden Ton aus. Der so sehr in den Ohren schmerzte,
dass die Katzen laut fauchten und die gequälten Ohren zurücklegten. »Ihr wollt
hier doch wohl nicht hinein?«, fragte der Vogel zynisch.
»Genau das wollen wir«, sagte Blackbird. »Hast du etwas dagegen?«
»Sogar eine Menge.«
»So?« Blackbird musterte sein Gegenüber. Allein der kräftige
Schnabel des Vogels hätte ihn spielend leicht einen Kopf kleiner machen können.
Ganz zu schweigen von den mächtigen Krallen seiner Greiffüße.
»Und nun, Fliegengewicht? Was willst du dagegen machen? Mit mir
kämpfen?« Er stieß ein hartes Kreischen aus, das an
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