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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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Unbemerkt war er hinter sie getreten.
    »Ja«, hauchte Lena, »er ist einfach perfekt.« Sie konnte es nicht in Worte fassen, hatte aber den Eindruck, all die Zeichen in dem Holz würden genau das ausdrücken, was ihr Leben ausmachte: zahlreiche Pfade, verworren und verschlungen. Leben, Tod und Neubeginn. Innerlich seltsam ergriffen, sah sie zu Kian auf.
    »Ich könnte mir keine Waffe vorstellen, die besser zu dir passt.«
    Stumm nickte sie, und in Kians Augen erkannte Lena, dass er genau verstand, was sie fühlte. Ein Kribbeln machte sich in ihrem Inneren breit.
    »Dieser Bogen ist toll, aber gleichzeitig ist mir das Ganze … unheimlich.«
    »Ich würde viel dafür tun, eine Waffe wie diese zu besitzen«, entgegnete Kian und streckte seine Hand nach dem Bogen aus. »Darf ich?«
    Lena nickte. Es erschien ihr nicht falsch, Kian das Holz berühren zu lassen. Zögerlich und voller Ehrfurcht strichen seine Fingerspitzen über die Intarsien. Unerwartet berührte Kian Lenas Hand. Kurz hielt er inne, dann zog er seinen Arm schnell zurück. »Verzeih!«
    »Schon gut«, entgegnete Lena. Die Berührung war ihr nicht unangenehm gewesen, fast kam es ihr so vor, als wären sie für einen Augenblick durch das Schlehenholz, das sie beide berührt hatten, verbunden gewesen.
    »Gefällt er dir?« Etrons Stimme brach den Zauber. Der große Tuavinn war neben ihr in die Hocke gegangen, und trotz der kantigen Züge und der Narbe über seinem linken Auge erschien ihr sein Gesicht heute freundlich, beinahe aufgeregt.
    Lena nickte. »Ich habe das Gefühl, als hättest du ihn nur für mich geschaffen.«
    Nun schmunzelte Etron und schüttelte den Kopf. »Nicht ich war es, der ihn für dich gemacht hat. Ich habe den Bogen lediglich von dem Holz befreit, in dem er schon seit langer Zeit verborgen lag.«
    Lena schluckte, und ihre Hand schloss sich fest um das Holz. Flüchtig glaubte sie Etrons Worte zu verstehen, doch kaum wollte sie sie mit ihrem Verstand greifen, entschwand es ihr wieder.
    »Er ist der deine«, sagte Etron nur. »Sobald du ihn geölt hast, solltest du dir überlegen, welchem Element du ihn weihen möchtest.«
    »Welchem Element?«, wiederholte Lena verwirrt.
    »Zu welchem Element fühlst du dich am meisten hingezogen?«
    »Das kann ich nicht sagen. Auch habe ich mir über so etwas noch nie Gedanken gemacht.«
    »Dann solltest du das nachholen.« Etron stand auf, klopfte ihr kurz auf die Schulter und setzte sich dann zu Maredd.
    »Wie soll ich nur wissen, welches Element ich wählen soll?«, murmelte Lena vor sich hin. »Welches ist dein Lieblingselement, Kian?«
    »Die Erde«, antwortete er, ohne zu zögern. In Elvancor schien es üblich zu sein, über derartige Dinge nachzudenken.
    »Und weshalb?«
    »Sie trägt uns, versorgt uns mit Nahrung, und ich reise beispielsweise sehr viel lieber auf dem Land als zu Wasser.«
    »Gute Argumente«, überlegte Lena. Dennoch wusste sie nicht, was sie Etron antworten sollte, falls er noch einmal fragte.
    Gegen Abend des nächsten Tages trafen – in kurzem Abstand voneinander – zwei weitere Gruppen ein. Die Fürsten Orteagon und Elgetia aus Erborg und Nemetos aus Crosgan. Letztere hatte Lena ja bereits auf dem Triadenfest gesehen, und besonders Nemetos mit seiner dunklen Haut und dem energischen Kinn war ihr in unangenehmer Erinnerung geblieben. Wie die anderen hatte auch er sich in edle Gewänder gehüllt und nicht damit gespart, sich reichlich mit Schmuck zu behängen. Das graue Haar fiel ihm offen über den Rücken, so wie bei seinen Wachen auch. Die langen Schnurrbärte der Männer aus Crosgan und Erborg verliehen ihnen zudem eine altertümliche Strenge. Kurz streifte sie Nemetos’ Blick »Du!«, sagte er jedoch nur und wandte sich Gobannitio zu, worüber Lena froh war.
    Als Elgetia vom Pferd stieg, fürchtete Lena, ihre Haut würde reißen, so sehr spannte sie sich über ihren Wangenknochen. Dennoch fehlte es ihren Bewegungen nicht an Kraft, und das volle, zu einer Schnecke aufgetürmte weiße Haar ließ ihr Auftreten herrisch und ihre Augen raubvogelartig erscheinen.
    »Orteagon. Wir … haben uns lange nicht gesehen.« Fürst Gobannitio blickte den kleineren, weißhaarigen Mann mit dem Schnurrbart von oben bis unten an, während dieser ein wenig steif vom Rücken des Pferdes glitt. Lena fand, Gobannitio klang irgendwie seltsam, verwundert und auch ein wenig geringschätzig.
    »Niemand verlässt dieser Tage seine Stadt freiwillig.« Orteagon warf einen Blick in die Runde. »Nun

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