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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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denn dieser schien sich förmlich durch ihn hindurchzubohren.
    »Nicht nur das Blut der Tuavinn fließt in diesem jungen Krieger. Aus Elvancors Bergen stammt er nicht.«
    »Ragnar wurde in der Welt jenseits der Berge von Avarinn geboren«, erklärte Maredd.
    »Die Verbindung von Mensch und Tuavinn birgt große Gefahren.« Der Berggeist streckte seinen wulstigen, einer Felsnadel gleichenden Finger nach Maredd aus. »Ihr müsst ihn leiten, lehren und führen.«
    Dieses Gerede wurde Ragnar langsam zu dumm. »Wir suchen eine Freundin, eine junge Menschenfrau, die entführt wurde. Kam sie hier vorbei oder ein Mann auf der Flucht?«
    Ein tiefes Grollen, einer Felslawine gleich, drang aus dem Mund des Berggeistes, und Maredd trat eilig vor Ragnar.
    »Verzeih, Herr der Berge. Mein Enkel ist in Sorge um das Mädchen. Sie kommt aus der Welt jenseits der Schwelle, und wir befinden uns auf der Suche nach ihr.«
    »Geduld ist eine Tugend. Zu viel Menschenblut fließt in deinen Adern. Zügle deine Wut, hier existiert keine Zeit. Alles hat seinen Sinn.«
    »Was für einen Sinn kann es denn haben …«, brach es aus Ragnar heraus, aber sein Großvater schüttelte eilig den Kopf.
    »Vergib ihm. Für unsere Maßstäbe ist er noch jung, denkt noch meist in den Dimensionen der Welt, die er verlassen hat. Wir bitten dich, hilf uns bei der Suche. Wir fürchten um das Wohlergehen des Mädchens.«
    Eine für Ragnar unerträglich lange Zeit stand der Berggeist einfach nur da, stierte in die Luft und rührte sich nicht. Schon häufig hatte Ragnar ähnliches Verhalten bei Naturgeistern erlebt, aber im Augenblick fehlte ihm schlicht und einfach die Geduld. Der warnende Blick seines Großvaters traf ihn, als er den Mund öffnete, aber da fing der Geist der Berge endlich zu sprechen an.
    »Der Fliehende begibt sich in Richtung Fluss, aber vor einigen Sonnenaufgängen kam eine größere Gruppe durch meine Berge. Ein Mädchen war bei ihnen, über den Rücken eines Pferdes geworfen.«
    Auf der Stelle spannte sich Ragnar an, und auch sein Großvater straffte die Schultern.
    »Am Fuße der Berge bewegten sie sich auf den Fluss zu.«
    »Dann sind sie tatsächlich auf dem Weg nach Talad!«, rief Ragnar aus und stürzte auch schon zu seinem Pferd.
    Maredd dagegen verbeugte sich tief. »Ich danke dir, Herr der Felsen und der Berge. Würdest du uns die Ehre gewähren, auf den kurzen Wegen zu reisen?«
    Abermals entstieg der Kehle des Felsenmannes ein tiefes Grollen. »In Langmut muss der junge Tuavinn sich üben. Bis dahin bleibt ihm mein Pfad verschlossen.« Damit verschwamm der Berggeist, seine Konturen wirbelten wild, einem Strudel gleich, über dem Felsplateau, bis sie mit diesem verschmolzen.
    »Na toll«, schimpfte Ragnar, wobei er wütend auf die Stelle starrte, wo der Geist verschwunden war. »Jetzt müssen wir den ganzen Weg reiten. Wehalb hat uns der verdammte Berggeist nicht geholfen?«
    »Ragnar«, versuchte Maredd ihn zu beschwichtigen, »du weißt doch, die Naturgeister Elvancors erwarten Respekt und Besonnenheit von uns. Bevor du das nicht verinnerlicht hast, wird dir ihre Hilfe verwehrt bleiben.«
    »Wie soll ich denn bitte besonnen bleiben, wenn meine beste Freundin entführt wurde?« Nur mühsam zügelte Ragnar seine Wut.
    »Wir werden Lena bald wieder unter uns wissen, ihr wird nichts geschehen.«
    »Wenn ich mir da nur so sicher sein könnte.« Hastig schwang sich Ragnar in den Sattel und lenkte Devera den Berg hinab. Die Stute warf den Kopf in die Höhe und scheute, als ein dumpfes Grollen ertönte, ähnlich einer abgehenden Lawine in weiter Ferne. Während Ragnar das aufgebrachte Pferd beruhigend am Hals klopfte, blickte er nach Osten, wo die Berggipfel in ein rötliches Licht getaucht waren.
    »Was ist das?«, fragte Ragnar seinen Großvater.
    »Ich bin mir nicht sicher, mein Junge.«
    »Ist er derjenige, den wir suchen?«
    Mitras sah zu seinem schattenhaften Gefährten hinüber. Aus einiger Entfernung hatten sie beobachtet, wie die beiden Tuavinn den Berggeist herbeigerufen hatten.
    »Es mag sein! Sein Äußeres entspricht der Beschreibung unserer Brüder und Schwestern. Und …«, nachdenklich kniff Mitras seine Augen zusammen, »… er reist an Maredds Seite.«
    »Dann ist er es, jener, der Everon, Luvett und die anderen über die Schwelle brachte?« Sichtlich aufgeregt schwoll Urdhens Gestalt an, ähnelte nun einem mächtigen Bären.
    »Beruhige dich«, fuhr Mitras ihn an. »Sie könnten dich sehen.«
    »Verzeiht, Herr.«

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