Das Reich des dunklen Herrschers - 8
es mit ihnen aufzunehmen. Diese Berge schienen einem Volk von Riesen anzugehören. Jähe Felsklippen ragten tausende Fuß in den Himmel. Es gab beängstigende Hänge, die weder Paß noch Riß aufwiesen und so steil waren, daß sich fast kein Baum auf ihnen halten konnte. Hohe, unter einer dichten Schneedecke verborgene Bergspitzen, die sich majestätisch bis weit über die windgepeitschte Wolkendecke erhoben, drängten sich so dicht zusammen, daß sie nicht so sehr an separate Gipfel, sondern vielmehr an die schartige Klinge eines langen Messers erinnerten.
Sie hatte ihn tags zuvor die eindrucksvollen Berge betrachten sehen und ihn gefragt, ob er eine Möglichkeit sehe, sie zu überqueren. Er hatte verneint; die einzige Möglichkeit, auf die andere Seite hinüberzugelangen, sei möglicherweise jener schmale Einschnitt, den er zuvor bei der Entdeckung der seltsamen ehemaligen Grenze gesehen hatte, und dieser Einschnitt lag noch ein gutes Stück weiter nördlich.
Fürs Erste hielten sie sich an die trockene Seite des näheren Gebirgszugs, der parallel zu den nicht übermäßig schwierig zu passierenden Niederungen verlief.
Am Fuß eines sanft geschwungenen, mit Büscheln aus braunem Gras bedeckten Hügels ließ Richard sein Pferd endlich langsamer gehen. Er drehte sich im Sattel herum und vergewisserte sich, daß die anderen, wenn auch in recht großer Entfernung, ihm noch immer folgten, ehe er sein Pferd dicht neben Kahlan lenkte. »Ich habe im Buch einige Kapitel übersprungen.«
Das gefiel ihr überhaupt nicht. »Als ich dich vor einiger Zeit fragte, wieso du nicht ein paar Seiten überspringst, hieß es noch, das sei nicht eben ratsam.«
»Ich weiß, aber ich komme einfach nicht weiter, und wir brauchen dringend Antworten.« Kaum waren die Pferde in gemächliches Schrittempo verfallen, rieb Richard sich fröstelnd die Schultern. »Nach all der Hitze kann ich gar nicht recht glauben, wie kalt es hier wird.«
»Kalt? Wovon redest du?«
»Erinnerst du dich noch an diesen seltenen Menschenschlag?« Das Leder seines Sattels knarzte, als er sich zu ihr hinüberbeugte. »Die gänzlich ohne Gabe geboren werden und nicht einmal einen Funken der Gabe besitzen? Die Säulen der Schöpfung? Nun, damals, als dieses Buch geschrieben wurde, waren sie keineswegs so rar.«
»Willst du damit sagen, daß die Geburt dieser Menschen damals eher etwas Selbstverständliches war?«
»Das nicht. Aber die so Geborenen wurden mit der Zeit erwachsen, heirateten und brachten Kinder zur Welt - Kinder, die nicht mit der Gabe gesegnet waren.«
Kahlan sah ihn überrascht an. »Die zerbrochenen Glieder in der Vererbungskette der Gabe, von denen du bereits gesprochen hast?«
Richard nickte. »Sie alle waren Kinder des Lord Rahl. Damals herrschten noch andere Verhältnisse als in der jüngsten Vergangenheit unter Darken Rahl oder dessen Vater. Soweit ich es beurteilen kann, waren sämtliche Kinder des Lord Rahl und seiner Gemahlin Teil seiner Familie - und wurden, trotz ihres angeborenen Makels, auch so behandelt. Offenbar haben die Zauberer damals ihnen zu helfen versucht -sowohl den direkten Nachkommen, aber auch deren Kindern und Kindeskindern. Sie haben versucht, sie zu heilen.«
»Zu heilen? Aber von was?«
In einer verzweifelten Geste warf Richard gereizt die Arme in die Luft. »Nun, immerhin waren sie ohne die Gabe geboren - ohne den geringsten Funken der Gabe, den sonst jeder besitzt. Ganz offensichtlich haben die Zauberer damals versucht, die Lücken in der Vererbungskette zu schließen.«
»Und wie kamen sie darauf, sie könnten einen Menschen heilen, der nicht einmal einen Funken der Gabe besitzt?«
Die Lippen aufeinander gepresst überlegte Richard, wie er es ihr am besten erklären konnte. »Du erinnerst dich an die Zauberer, die dich über die Grenze schickten, um Zedd zu finden?«
»Ja …« Ihre Antwort klang skeptisch gedehnt.
»Sie waren ohne die Gabe, mit anderen Worten, nicht als Zauberer geboren worden. Demnach waren sie zweit- oder drittrangige Zauberer - irgendwas dergleichen. Du hast mir einmal von ihnen erzählt.« Er schnippte mit den Fingern, als es ihm wieder einfiel. »Ich hab’s. Zauberer dritter Ordnung. Richtig?«
»Ja. Nur einer, Giller, war ein Zauberer Zweiter Ordnung. Außer Zedd war es niemandem gelungen, die Prüfung zum Zauberer Erster Ordnung zu bestehen, weil sie nicht im üblichen Sinn mit der Gabe gesegnet waren. Zauberer zu sein war ihre Berufung, und obwohl sie nicht im herkömmlichen
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