Das Reich in der Tiefe
Entführung des jungen Mannes angesetzt, die nur durch Zufall scheiterte.“
Sarasola sprang auf, alles Blut wich aus seinem Gesicht, die Hände zitterten, der Atem ging keuchend. Der unerwartete Angriff traf ihn wie ein Peitschenschlag: „Niemand hat bisher gewagt, so mit mir zu sprechen!“ rief er überlaut. „Ich brauche doch wohl nicht im Ernst auf eine solche Anschuldigung einzugehen?“
„Eure Exzellenz werden es müssen, denn ich kann notfalls den unumstößlichen Beweis liefern, daß Sie der Anstifter sind. Die überlebenden Räuber habe ich persönlich vernommen. Dazu kommt, daß der im Palast internierte junge Mann, der unter königlichem Schutz steht, häufig im Schlaf ausgehorcht und heute widerrechtlich hierhergebracht wurde!“
„Ja, um ihn im Angesicht der Göttin zu befragen, wie es mein Recht ist!“
„Halten Sie es auch für recht- und gesetzmäßig, daß acht Mitglieder des Hohen Rates hier beeinflußt werden sollten? In der Verfassung sind solche Methoden ausdrücklich aufs strengste untersagt.“
„Der König und der Hohe Rat werden entscheiden, ob ich richtig handelte, nach allem was ich jetzt über die Oberwelt weiß!“
„Mein Vater hat schon entschieden, ich stehe als sein Beauftragter vor Ihnen.“ Ayor Tupacs Stimme wurde lauter und schärfer, als er fortfuhr: „Mein Vater ist alt und hat nichts dagegen unternommen, daß Sie fortdauernd die gesetzlichen Grenzen Ihres Amtes überschritten, doch selbst seine Geduld war zu Ende, als er vor wenigen Stunden von Ihrem letzten Übergriff hörte. Er gab mir alle Vollmachten. Ich werde sie benutzen, um unser künftiges Verhältnis zu klären. Sie werden dieses Haus nicht verlassen, Sarasola, es sei denn als Gefangener, ehe nicht volle Klarheit zwischen uns herrscht. Das Haus ist von meinen Leuten umstellt!“
Sarasola taumelte. Mitleidlos stieß Ayor Tupac nach: „Wenn der Sohn eines Hirten in wenigen Jahren zum Höchsten Priester aufsteigt, dann sollte er den Göttern danken und nicht noch danach streben, den König seinem Willen zu unterwerfen. Die Macht hat Ihnen den Kopf verwirrt. Sie haben jetzt die Wahl:
Entweder Sie glauben, den Kampf mit mir ausfechten zu müssen, ich werde ihn mit letzter Härte und Konsequenz durchführen und kann Ihnen voraussagen, daß Sie unterliegen und aus Ihrem Amt entfernt werden. Oder Sie erkennen Ihre Grenzen, halten sich genau an Ihre Befugnisse, dann bin ich bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, und niemand wird erfahren, was in dieser Stunde zwischen uns besprochen wurde.“
Noch einmal flackerten die Augen des Hohenpriesters auf: „Ich habe unkorrekt gehandelt, das gebe ich zu, aber es geschah zum Besten des Reiches. Wenn der König wüßte, was uns droht, falls wir nicht aufhören, an die Oberfläche vorzustoßen …“
„Lenken Sie jetzt nicht ab, sondern geben Sie mir eine klare Antwort.“
„Geben Königliche Hoheit mir einen Tag Bedenkzeit!“
„Nein, jetzt und hier müssen Sie sich entscheiden!“
Der Hohepriester schloß die Augen. Endlich brachte er mit erstickender Stimme heraus: „Ich bin bereit die Bedingungen zu hören – für eine Zusammenarbeit!“
„Als erstes: Die Sekte der Grauen wird endgültig aufgelöst.
Zum zweiten: Der junge Mann, dessen Träume hier erforscht wurden, untersteht allein meiner Verfügung. Sollte er durch seine Reden Unheil anrichten, sperre ich ihn auf Lebenszeit ein.
Drittens: Ich verzichte auf eine Anklage wegen des Verfassungsbruchs, daß hier acht Mitglieder des Hohen Rates in ihrer freien Entscheidung beeinflußt wurden. Dafür fordere ich, auch in meines Vaters Namen, in Zukunft vertrauensvolle Zusammenarbeit, nicht Gegnerschaft! Beginnen Sie damit, daß Sie uns und dem Hohen Rat in der nächsten Sitzung ein einwandfreies Bild davon geben, was Sie durch Ihre Methoden von der Oberwelt erfahren haben. Sollte ich dadurch überzeugt werden, daß eine Verbindungsaufnahme dorthin schädlich ist, dann werde auch ich mich weiteren Expeditionen widersetzen.“
Sarasola nickte mit zusammengebissenen Zähnen, und Ayor Tupac verließ das Haus als Sieger.
* *
*
Klaus Erichsen hatte keine Ahnung, was sich alles mit ihm und seinetwegen ereignet hatte, als er mit schwerem Kopf in seinem Bett in der Turmstube erwachte. Er hatte außerordentlich lebhaft geträumt, war in der Fabrik seines Vaters, in Buenos Aires, an einem Badestrand am Atlantik, dann wieder im Krieg gewesen, den er zwar nicht selbst
Weitere Kostenlose Bücher