Das Reigate-Rätsel
Gegen ein Uhr waren wir wieder einträchtig im Rauchzimmer des Colonels versammelt. Er wurde begleitet von einem kleinen älteren Herrn, der mir als Mr. Acton vorgestellt wurde. In seinem Haus hatte der erste Einbruch stattgefunden.
»Ich wollte gerne, daß Mr. Acton mit Ihnen zusammen an einer kleinen Demonstration teilnimmt, die ich Ihnen vorführen möchte«, sagte Holmes, »denn na turgemäß interessiert er sich für die Einzelheiten des Falles. Ich fürchte, mein lieber Colonel, daß es Ihnen herzlich leid tut, einen so unruhigen Geist wie mich überhaupt eingeladen zu haben!«
»Im Gegenteil«, antwortete der Colonel herzlich. »Für mich ist es ein großes Privileg, zusehen zu dürfen, wie Sie an Ihren Methoden arbeiten. Bisher habe ich noch nicht die geringste Ahnung, wie Sie zu Ihren Ergebnissen gekommen sind. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wo der Angelpunkt dieses. Falles liegen könnte. «
»Ich fürchte, daß meine Erklärungen Sie enttäuschen werden, aber ich habe es immer so gehalten, daß ich keine meiner Methoden vor den anderen verberge, weder vor meinem Freund, Dr.
Watson, noch vor irgend jemand anders, der intelligent und interessiert genug ist, meinen Methoden zu folgen. Mir ist immer noch elend zumute nach der Behandlung, die sie mir im Ankleidezimmer zuteil haben werden lassen. Ich glaube, daß ich erst einmal einen Schluck Brandy verdient habe, nicht wahr, Colonel, bevor ich fortfahre. Irgendwie habe ich meine alten Kräfte noch nicht ganz wieder beisammen.«
»Ich hoffe, daß Sie niemals wieder solche Nervenanfälle bekommen werden.«
Sherlock Holmes lachte herzlich. »Darüber reden wir, wenn es soweit ist«, sagte er, »ich werde Ihnen jetzt die Zusammenfassung des Falles der Reihe nach geben, und ich werde die verschiedenen Punkte aufführen, die mich zu meinen Ergebnissen geführt haben. Bitte unterbrechen Sie mich, wenn irgendeine Stelle Ihnen nicht ganz klar sein sollte.
In der Kunst, Verbrechen aufzuklären, ist es von größter Wichtigkeit, Tatsachen zu registrieren und aus der Gesamtsumme diejenigen herauszusuchen, die von der größten Bedeutung sind, sie sorgfältig von denen zu trennen, die einem nur zufällig über den Weg kommen. Wenn Sie das nicht tun, zerstreuen Sie Ihre Energie, statt sie zu konzentrieren. Nun, in diesem Fall hatte ich nicht den geringsten Zweifel daran, daß der Schlüssel zu dem Geheimnis in dem Papierfetzen lag, den wir in der Hand des Toten gefunden haben. Bevor wir nun jedoch darauf eingehen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen besonderen Umstand lenken: Wenn Mr. Alecs Geschichte wahr gewesen wäre, dann wäre der Mörder sofort geflohen, nachdem er den tödlichen Schuß abgegeben hätte. Er hätte sich nicht mehr die Zeit genommen, das Papier aus der Hand des Verwundeten herauszuziehen. Wenn es aber keinen entflohenen Mörder gab, dann kam nur Alec Cunningham als Täter in Frage, denn bevor der alte Mann die Treppe heruntergekommen war, war auch schon die gesamte Dienerscha ft zur Stelle. Eigentlich lag der Fall ganz einfach, aber der Inspektor konnte das nicht so sehen, weil er einfach von der Überzeugung ausging, daß die Landmagnaten sich niemals zu so etwas wie Mord herablassen werden. Nun, ich selber achte streng darauf, daß ich mich nicht von Vorurteilen verleiten lasse. Ich folge geradewegs den reinen Tatsachen, wohin sie auch führen mögen. So fragte ich mich vom ersten Augenblick meiner Untersuchungen an, welche Rolle Alec Cunningham in diesem Drama gespielt haben könnte.
Ich habe den kleinen Papierfetzen, den der Inspektor uns überlassen hatte, sehr sorgfältig untersucht. Von Anfang an war mir klar, daß es sich um einen Teil eines bemerkenswerten Dokumentes handeln mußte. Hier ist es. Bemerken Sie jetzt nicht etwas sehr Auffälliges daran?«
»Das ist aber einmal ein unregelmäßiges Schriftbild!« sagte der Inspektor.
»Mein lieber Sir«, rief Holmes, »es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß hier zwei Personen am Werke waren. Sie haben abwechselnd geschrieben, ein Wort der eine, das nächste Wort der andere. Darf ich Sie aufmerksam machen auf die aus-drucksvollen -t- in >at< und >to<. Und danach schauen Sie sich bitte die schwachen -t-in >Quarten und >twelfe< an. Sie werden mir sofort recht geben. Schon bei einer flüchtigen Analyse der nächsten vier Worte werden Sie mit äußerster Sicherheit sagen können, daß >learn< und >maybe< in einer kräftigeren Handschrift geschrieben sind als das
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