Das reine Karma 2
Schauspieler und Personen sehen, die nicht miteinander verschmelzen, stoßen wir zu neuen Ebenen der Wahrnehmung der Welt vor. Die Filmkunst hat eine etwas andere Bestimmung.
Als Avicenna, der vor vielen Jahrhunderten lebte, an einen Pfahl einen Wolf und an einen anderen Pfahl ein Schaf band, war das Schaf nach drei Tagen tot. Das waren die ersten Vorstellungen von Stress. Ob Stress den Menschen erdrückt oder stärkt, wird von der Haltung des Menschen zur Situation bestimmt. Der Film gibt ihm die Möglichkeit, vom wirklichen Leben zu abstrahieren. Mit ihren reichlichen Mitteln ist die Filmkunst bestrebt, den Menschen maximal an das Geschehen heranzuführen. Anfangs wird der Mensch gewissermaßen in eine andere Welt und ein anderes Denksystem versetzt, d.h. er wird von akuten Problemen, die mit dem Irdischen verbinden, getrennt. Wenn er den Saal wieder verlässt, wird er, nachdem er Person gewesen ist, zum Schauspieler. Und dieser Wechsel gibt dem Balance, der nicht genug Kraft hat, um Theater zu spielen. Wie der Schauspieler sich die Fähigkeit anerziehen muss, nicht mit der Person zu verschmelzen, so muss auch jeder Mensch sich anerziehen, dieses Leben von dem zu trennen, das darüber liegt. Wenn der Schauspieler die an der Oberfläche befindliche Emotion der Person in sein Inneres, in seine Seele eindringen lässt, dann stirbt das Theater. Danach erkrankt und stirbt auch der Schauspieler.
Wenn wir Emotionen, die mit unserem Körper, d.h. mit einem unserer Leben, verbunden sind, in die Tiefen unserer Seele, in die Strukturen, die viele Leben umfassen, eindringen lassen, dann erkranken und sterben wir ebenso wie schlechte Schauspieler.
In der nächsten Zeit muss jeder von uns, um auf der Bühne zu bleiben, lernen, gleichzeitig Schauspieler und Person zu sein.
Die Theaterkunst erforscht die Seele. Im normalen Leben geschehen mit uns reale Ereignisse, an die sich unsere Seele anpasst, indem sie sich als primär und die Ereignisse als sekundär betrachtet, obwohl die Ereignisse in Wirklichkeit auf Geistesebene früher stattfinden. Das, was in unseren Seelen geschieht, geschieht erst später im Umfeld. Alles, was auf der Bühne des Theaters geschieht, ist sekundär. Primär sind die Gefühle und der Gedanke, die das Stück geschaffen haben, das Schauspiel ist die Folge. Die Hauptaufgabe der Theaterkunst besteht darin, etwas Unsichtbares, aber weitaus Realeres als die physischen Ereignisse auf der Bühne zu schaffen. Wenn der Regisseur nicht den ursprünglichen Gedanken gespürt hat, wenn er das Ereignis und die Information über das Stück nicht komprimieren und zum ursprünglichen Kern, aus dem das Stück hervorgegangen ist, verdichten konnte, dann leben die Schauspieler nicht auf der Bühne, sondern sprechen ihre Rolle. Sehr viel hängt vom Bühnenautor ab, denn jede Handlung und jedes Ereignis des Stückes müssen dem ursprünglichen Kern entsprechen. In dieser Hinsicht ist Shakespeare unvergleichlich. Ich hatte jedoch nicht gedacht, wie tief Tschechow in die Geheimnisse der menschlichen Seele eingedrungen ist. Erst nach zwanzig Jahren philosophischer Studien und fünfzehn Jahren Versuchen, mit Feldstrukturen, d.h. Geistesstrukturen des Menschen, zu arbeiten, entdeckte ich Tschechow erneut für mich. Und das etwas verschwommene, unlogische und unverständliche Stück „Die Möwe” erstrahlte für mich unerwartet wie ein Diamant. Ich kann nicht umhin, meinem Wunsch nachzugeben, dem Leser meinen Versuch einer Analyse dieses Stückes darzulegen.
Eine Grundbedingung für die Existenz jedes Organismus ist der ständige Kontakt jedes seiner Teile zum Zentrum. Damit der Teil gedeihlich für das Ganze arbeitet, müssen seine Programme aus zwei Matrizen bestehen. Die erste ist die Matrix des Ganzen, mit dem er sich identifiziert, das innere Wesen. Und die zweite ist die eigene Matrix, d.h. die Form. Sie sind einander dialektisch entgegengesetzt. Mit einfachen Worten: Der Teil muss Informationen über das Ganze enthalten — das Prinzip des Hologramms. Den Menschen kann man als Informationssystem betrachten, das Teil des Universums ist. Seine Entwicklung ist mit der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen verbunden, die vom Universum kommen. Die Aufnahme neuer Informationen erfolgt über die Zerstörung alter Strukturen und Verbindungen und die Schaffung neuer auf höherer Ebene. Die Zerstörung kann unkontrolliert erfolgen, dann beginnt die Information, den Organismus zu zerstören. Das heißt, um unbeschadet neue
Weitere Kostenlose Bücher