Das Reisebureau Thompson und Comp.
Nach und nach nahm das Schiff sein gewöhnliches Aussehen wieder an, und das Leben an Bord, dessen Eintönigkeit auch die zur bestimmten Stunde genossenen Mahlzeiten einige Abwechslung verliehen, verlief wieder fast ebenso wie vorher.
Die Frage der Mahlzeiten hatte jetzt freilich eher eine noch höhere Bedeutung gewonnen. Die Touristen verlangten darin eher mehr, wie man auch im Eisenbahnwagen mehr aus Mangel an Beschäftigung als aus Hunger öfter zu essen pflegt. Thompson ließ das ruhig hingehen, ja er bestärkte darin aus Feigheit, deren Unklugheit ihm bald zu Gemüte geführt werden sollte, ohne Wissen des Kapitäns Pip noch diese Zerstreuung seiner Schutzbefohlenen in der chimärischen Hoffnung, dadurch Absolution zu erhalten.
Vor allem wußte Piperboom – aus Rotterdam – die Ablenkung von trüben Gedanken zu schätzen. Fest verwachsen mit dem General-Unternehmer, hatte er die Explosion ebenso gehört wie die Mitteilungen des Kapitäns Pip, doch ob er es verstanden haben mochte, daß der sich für gezwungen erklärt hatte, einen ganz andern Kurs einzuschlagen? Seine Blicke, die er mehr als einmal dem Kompaß und der Sonne zuwandte, schien dafür zu sprechen. Wenn auch er eine gewisse Unruhe empfand, so verminderte diese wenigstens nicht seinen Appetit. Er bewährte sich noch immer als warmer Freund aller Kunststücke der Schiffsküche. Wie viele Mahlzeiten, Breaksasis, Dinners, Teas und Luncheous es auch gab, er nahm an allen mit ungeschwächten Kräften teil. Sein Magen war entschieden grundlos.
In gleicher Weise wie dieser unausfüllbare Abgrund schwamm der trinkfeste Johnson womöglich in noch größerer Seligkeit als je vorher. Er war schließlich zu dem Punkte angelangt, wo die totale Trunkenheit zur chronischen Krankheit wurde, und die wußte er sich in schlauester Weise zu konservieren. Auf die zwanglosen Promenaden auf dem Spardeck hatte er fast gänzlich verzichtet. Nur von Zeit zu Zeit, wurde er einmal hier sichtbar. Fast immer lag er im Schlafe, und erwachte daraus nur, die nötige Quantität zu trinken, um wieder einzuschlafen. Von dem Unfall, der die »Seamew« zu einem Segelschiff verwandelt hatte, von dem neuen Kurs, den sie deshalb einzuhalten gezwungen war, wußte er nicht das geringste, und hätte er’s gewußt, so wäre ihm das höchst gleichgültig gewesen. Konnte er denn auf dem Lande mehr betrunken sein als auf diesem Schiffe, das mit alkoholischen Getränken sehr reichlich versehen war und das ihm die Empfindung einflößte, in einem Wirtshaus zu wohnen?
Der Allerglücklichste an Bord aber war wie gewöhnlich Mr. Absyrthus Blockhead, der »Ehren-Krämer«, den die Natur mit einem so wunderbaren Charakter ausgestattet hatte. Als der Unfall eintraf, empfand er darüber wirklich eine echte Freude. Seit mehreren Tagen hatten er und seine Töchter sich zum ersten Male wieder auf einen Stuhl setzen können, ohne vor Schmerzen aufzuschreien. Sie beglückwünschten einander gerade alle drei wegen dieser angenehmen Veränderung, als das Zischen des ausströmenden Dampfes sie nötigte, vorzeitig eine Lage aufzugeben, der sie sich so lange nicht erfreut hatten.
Mr. Blockhead beklagte gewiß die beiden Verletzten, die eines Tages, einer gestützt auf den andern, hervorkamen, und sicherlich empfand auch er einige Unruhe wegen der Folgen des unangenehmen Ereignisses, dagegen erfüllte es ihn mit einer eitlen Befriedigung, in so schwere Gefahr geraten zu sein. Als der Kapitän Pip aber erst den neuen Kurs einschlug, das wirkte auf ihn noch ganz anders. Der Gedanke, auch noch das Grüne Vorgebirge zu besuchen, ließ in ihm einen wahren Ozean von Hypothesen aufquellen.
Bisher wenigstens hatte er sich nicht bemüht, bei dem allgemeinen Unglück sein Licht untern Scheffel zu stellen, im Gegenteil setzte er alles daran, die Fahrt des Schiffes zu beschleunigen. Zuerst riet er dem Kapitän, die Beseglung zu vergrößern, und bot ihm dazu alle Decken und Servietten der »Seamew« an… ein Vorschlag, der freilich abgewiesen wurde. Mr. Blockhead erkannte sich deshalb aber nicht als besiegt und übertrug seine Theorien eifrigst in die Praxis.
Vom Morgen bis zum Abend konnte man ihn mit seiner Gattin, seinem Sohne und seinen Töchtern auf dem Hinterdeck sitzen sehen, wo alle ihre Taschentücher als kleine Segel ausgebreitet hielten. Waren sie der langweiligen Übung überdrüssig, so erhoben sie sich, stellten sich in einer Querlinie auf und bliesen bis zum Atemverlieren in die Segel der »Seamew«
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