Das Reliquiar
smaragdgrünen Augen leuchtete nicht einmal bange Erwartung. Das ovale Gesicht mit den fein geschnittenen Zügen verriet nur Widerwillen.
»Bist du noch nicht fertig?«, erklang von der Tür her eine Frauenstimme. »Bei allen Heiligen des Paradieses!« Sie kam mit langen Schritten heran und hob den Brokatrock.
Beatrice drehte sich zu ihr um. »Keine Sorge, Mutter. Ich werde rechtzeitig für das Opfer fertig sein.«
Donna Laura versetzte ihr eine so heftige Ohrfeige, dass sie wankte. »Was für eine Unverschämtheit!«, zischte sie. »Sei froh, dass dein Vater nicht gehört hast, was du gerade gesagt hast. Du solltest dich glücklich schätzen und deiner Familie gegenüber dankbar sein, weil sie eine Ehe für dich arrangiert hat, die einer Prinzessin würdig ist! Mach nun keine Geschichten, und bereite dich vor. Dein Bräutigam wartet.«
Beatrice hielt die Tränen zurück und ließ sich ankleiden, aber das Gewand war schwer und erforderte die Hilfe zweier weiterer Mägde. Als sie schließlich so weit war, reichte man ihr einen silbernen Spiegel, in dem sie ihre prächtige Erscheinung betrachten konnte, aber sie brachte noch immer kein Lächeln zustande. Schweren Herzens ließ sie sich von ihrer Mutter nach draußen führen, wo sie sofort von den freudigen Brautjungfern umringt wurde. Sie machte sich auf den Weg zur Kapelle,
fast ohne die illustren Gäste in den Zimmern des Gebäudes wahrzunehmen. Die aromatischen Düfte, das Funkeln von Juwelen, prunkvolle Gewänder, die lachenden und bewundernden Stimmen – das alles hüllte Beatrice in einen Nebel der Benommenheit.
Vor dem Eingang der Kapelle überließ man sie der Obhut ihres Vaters, der ihre kalte Hand nahm und sie vor den Altar führte. Dort standen der Bräutigam und, in Begleitung zweier Priester, der Bischof, der die Trauung vornehmen sollte. Beatrice, hochgewachsen und gertenschlank, würdigte den Mann, der gleich ihr Gemahl sein würde, keines Blickes. Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand, trat mit hoch erhobenem Kopf an seine Seite und blickte starr geradeaus.
Die Zeremonie zog sich endlos hin. Als sich Urbano vorbeugte, um sie zu küssen, drehte Beatrice das Gesicht, und seine Lippen berührten nur ihre Wange. Er machte sich nichts daraus. Sie war jetzt seine Ehefrau, und er würde Mittel und Wege finden, sie gefügig zu machen.
Während des Banketts nahmen Beatrices Unbehagen und Zorn immer mehr zu. Die Tischgäste sprachen dem Wein und den köstlichen Speisen gut zu und schon bald brachten sie ihre Anerkennung mit Witzen, Geschrei und den Brautleuten gewidmeten improvisierten Sonetten zum Ausdruck. Manche wurden mit Applaus belohnt, andere mit unmanierlichem Gelächter. Anschließend kamen die Künstler an die Reihe: Jongleure, Akro baten,Tänzer,Troubadoure …
Die Atmosphäre wurde immer ausgelassener, und im allgemeinen Durcheinander saß Beatrice unbewegt da
und dachte voller Schrecken und Abscheu daran, was sie bald im Ehebett erwartete. Urbano war nicht hässlich, trotz der von einem Säbelhieb stammenden Narbe in der linken Gesichtshälfte. Das Haar und der kurze Bart waren schwarz wie das Fell eines Panthers, doch was bei ihm besonders auffiel, waren die Augen, so klar, dass sie fast farblos wirkten, kalt und scharf wie die Schneide seines Schwerts. Der Glanz in diesen Augen veränderte sich fast nie, aber sie wurden dunkler, wenn er zornig war. Es hieß, dass er schon viele Frauen gehabt hatte, und angeblich waren alle Kurtisanen Roms bei der Nachricht von seiner Heirat in Tränen ausgebrochen. Aber Urbano war vor allem Krieger, und Beatrice hatte sich unzählige Geschichten über seine Heldentaten auf dem Schlachtfeld anhören müssen.Vielleicht würde er demnächst wieder in irgendeinen Krieg ziehen, wer konnte das wissen … Dann wäre Beatrice ihn los gewesen, zumindest für eine Weile. Bei dieser Vorstellung stahl sich ein bitteres Lächeln auf ihre Lippen. Sie war erst seit wenigen Stunden verheiratet und wünschte sich bereits, dass er sie verließ.
»Warum lächelt Ihr so, meine Gemahlin?«, fragte Urbano, und Beatrice zuckte zusammen.
»Wie denn?«, fragte sie.
»Es ist ein Lächeln, das sich kaum für eine junge Ehefrau ziemt. Ich beobachte Euch schon seit einer ganzen Weile, und Ihr scheint mir alles andere als glücklich zu sein. Bin ich vielleicht der Grund für so viel Wehmut?«
»Findet Ihr es seltsam, dass ich meinem Leben als Mädchen nachtrauere, mein Gemahl?«
»Auf mein Wort, ja, denn dies sollte doch der
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