Das Reliquiar
wimmelnden Hafen der Lagunenstadt und quartierte sich in einem kleinen
Gasthaus ein.Anschließend begann er damit, Informationen zu sammeln. Der größte Teil der aus Konstantinopel geraubten Schätze war in das Eigentum der Stadt übergegangen, den Rest hatten die Reeder bekommen. Mit einigen Ausnahmen: Das prächtige Viergespann aus vergoldeter Bronze, das das Hippodrom von Konstanti nopel geschmückt hatte, befand sich jetzt im Arsenal, während Reliquien und andere Kostbarkeiten in verschiedenen Kirchen untergebracht worden waren. Doch im Vergleich zu dem, was zerstört worden oder verloren gegangen war, schien das kaum der Rede wert zu sein.
Arrigos Suche zog sich über Wochen hin. Er durchkämmte die Stadt, stellte Fragen und bot Geld für Auskünfte. Doch nichts ergab sich. Müde und voller Kummer betete er immer wieder, in der Hoffnung, dass Gott ihm den richtigen Weg zeigte.
Eines Tages, als er in einer Taverne ein Glas Würzwein trank, hörte er etwas, das ihn zusammenfahren ließ.
»Ich sage dir, ein solches Unwetter habe ich noch nie erlebt!«, vernahm er die Stimme eines Seemanns. »Heulender Wind, sturzbachartiger Regen, Blitz und Donner, riesige Wellen, die über die Schiffe hinwegrollten und sie so schüttelten, als wollte Gottes eigene Hand sie zerstören!« Er bekreuzigte sich.
»Ich habe sie sinken sehen, wisst Ihr?«, sagte ein anderer Mann. »Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie die größte und schönste Galeere der Flotte wie ein dürrer Zweig zerbrach.Alle Besatzungsmitglieder sind gestorben. Sie hat versucht, dem Sturm zu trotzen, sie hat gekämpft, doch schließlich erlag sie der Wucht des Unwetters. Wir alle befürchteten, dass es uns ebenso ergehen würde, aber
wir sind mit dem Schrecken davongekommen, dem Himmel sei Dank.«
Ein Einäugiger kippte seinen Wein herunter und stellte den Becher auf den Tisch. »Wie schade, dass die Fracht verloren gegangen ist«, brummte er. »Der Laderaum enthielt lauter Kostbarkeiten, einen wahren Schatz. Und der liegt jetzt auf dem Meeresgrund.«
»Ich erinnere mich gut an den Tag auf dem Pier, als wir die Kisten an Bord gebracht haben«, sagte ein anderer. »Sie waren so voll und schwer, dass wir sie kaum tragen konnten. Eine von ihnen öffnete sich, und ihr Inhalt fiel heraus; wir haben eine ganze Weile gebraucht, um alles wieder einzusammeln. Einer von uns sprang sogar ins Wasser, um etwas vom Grund des Hafenbeckens zu holen.«
»Wer könnte das vergessen?«, erwiderte der Einäugige. »Unter den Dingen, die ich eingesammelt habe, befand sich ein goldenes Kreuz voller Edelsteine – das allein war schon ein Vermögen wert. Wie es glitzerte und glänzte... Ich hätte es gern verschwinden lassen, aber der verdammte Kapitän ließ mich die ganze Zeit über nicht aus den Augen. Wenn ich doch nur mutig genug gewesen wäre...«
»Es hätte Euch an den Galgen gebracht«, sagte der andere Mann.
»Wisst Ihr, was mir mein Schwager gesagt hat, der drüben in Chioggia als Schreiner arbeitet?«, warf der Wirt ein. »Ein großer Teil des Schatzes ist jetzt angeblich im Haus irgendeines feinen Herrn angehäuft. Erinnert Ihr Euch an den Brand in Brondolo?«
»Und ob«, sagte der Einäugige. »Ich habe dabei einen Bruder verloren. Niemand weiß, was geschehen ist.«
»Nun, mein Schwager meint, Söldner hätten das Feuer gelegt. Sie sollen Gold und Juwelen in der Hütte eines Fischers gefunden haben...«
Arrigo hörte atemlos zu. Inzwischen war er sicher, dass die Seeleute über das Kreuz von Byzanz sprachen. Die Vorstellung, dass es auf dem Meeresgrund gelandet und dann ins Netz eines Fischers geraten war, beunruhigte ihn sehr. Aber es bedeutete auch, dass ihn die göttliche Vorsehung tatsächlich auf den richtigen Weg gebracht hatte. Irgendjemand in Venedig hütete das Kreuz, und Arrigo musste ihn finden.
In einer Stadt mit fast zweihunderttausend Einwohnern war es praktisch unmöglich, etwas geheim zu halten.
Eins der am weitesten verbreiteten Gerüchte betraf den Reeder Angelieri: Es hieß, er sei in den Besitz eines außergewöhnlichen Kleinods gelangt, das er mit gro ßer Sorgfalt in seiner Villa aufbewahrte und niemandem zeigte. Man munkelte, dass Ranieri Dandolo, der Sohn des Dogen, das Objekt gesehen hatte und sehr davon beeindruckt gewesen war. Jeder beschrieb den Gegenstand auf seine eigene Art und Weise – manche Leute sprachen von einer Kette, andere von einem Armreif -, aber die gut Informierten meinten, dass es sich um ein goldenes
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