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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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Gemälde.
    Aber irgendetwas stimmte nicht. Wenn sich die Spuren des Kreuzes im Mittelalter verloren hatten, wie war es einem Maler der Renaissance dann möglich gewesen, ein entsprechendes Bild zu machen? Hatte er vielleicht die von seinem Zeitgenossen Ercole dei Fedeli geschaffene
Kopie zur Verfügung gehabt? Und wenn er im Besitz des Originals gewesen war – wie war es zu ihm gelangt? Und welche Rolle spielte Beatrice, Castellis Geliebte, bei dieser ganzen Angelegenheit?
    Zu viele Fragen, dachte Elena. Und ich fürchte, es werden nicht die letzten sein ...

Rom, Palazzo Altieri, 31. Oktober 2006
    Es war kurz vor Schließung der Ausstellung, und die Besucher gingen langsam zum Ausgang, blieben hie und da noch einmal vor den Gemälden stehen. Zu den Nachzüglern gehörte auch ein hochgewachsener, eleganter Mann, der lange vor dem Bild des edelsteinbesetzten Kreuzes stehen blieb.
    Beim Eintreten hatte er die anderen Bilder nur eines kurzen Blickes gewürdigt und sich dann ganz auf dieses konzentriert, als sei es das einzige von Interesse. Zwar war das Fotografieren verboten, aber der Mann benutzte eine Miniaturkamera, versteckt in einer Anstecknadel am Kragen seiner Jacke. Er hatte gerade ein Foto gemacht, als sich einer der Aufseher näherte und ihn freundlich aufforderte, den Saal zu verlassen. Der Mann nickte, richtete einen letzten Blick auf das Gemälde, wandte sich dann ab und ging zusammen mit den letzten Besuchern.
    Draußen wartete eine schwarze Limousine auf ihn, die sofort losfuhr, als er eingestiegen war.
    Im Fond des Wagens nahm er die Anstecknadel ab und steckte sie ein und wies den Fahrer dann an, ihn nach Hause zu bringen.

Schloss Sandriano, 1. November 2006
    Ein Gewitter zog auf.
    Starker Wind hatte dunkle Wolken gebracht, und Donner grollte in der Ferne. Dann ließ der Wind nach, und eine sonderbare Stille senkte sich über die Landschaft wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.
    Das in Düsternis gehüllte Schloss wirkte unheimlich und gespenstisch.
    Alles war wie erstarrt. Die Natur schien in der schwülheißen Luft den Atem anzuhalten.
    Elena spürte ein Prickeln wie Elektrizität und strich sich über die Arme, während sie über die seltsame, beunruhigende Stille nachdachte, die dem Gewitter vorausging. Es schien eine Verbindung zwischen dem Warten auf das Unwetter und dem Warten auf den Tod ihres Großvaters zu existieren. Beides stand unmittelbar bevor und war doch noch nicht Teil dieser Welt, hing wie ein Schatten in der reglosen Luft, die so tat, als könnte nichts die Stille stören. Doch in Wirklichkeit sammelten sich dunkle Kräfte, bereit, mit unglaublicher Gewalt loszubrechen, sobald der richtige Moment käme.
    Elena fühlte, wie die Anspannung in und außerhalb von ihr wuchs. Es schnürte ihr fast die Kehle zu.
    Sie hatte immer geglaubt, dass es wie eine Befreiung sein würde, wenn sie schließlich den Grund für das Verhalten ihres Großvaters erführe. Sie hatte sich mehr Klarheit davon erhofft, aber das Gegenteil war nun der Fall. Und das alles wegen der unglaublichen Angelegenheit, die offenbar ganze Generationen von Brandantis beschäftigt hatte und so sehr Teil des Familienlebens geworden war,
dass sie sich nicht mehr davon lösen ließ. Ein Geheimnis, das seit Jahrhunderten darauf wartete, gelüftet zu werden... Wie sollte sie diese Mission erfüllen, wenn alle anderen vor ihr gescheitert waren?
    Am Morgen war Elena im Zimmer ihres Großvaters gewesen, und sein sichtbares Leid hatte ihr das Herz zerrissen. Sie hatte seine Hand gehalten, während er mit erstaunlicher Ruhe Anweisungen für das eigene Begräbnis gegeben hatte. Es waren seine letzten verständlichen Worte gewesen. Elena hatte nach weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Kreuzes von Byzanz gefragt, aber vergeblich. Der Arzt, der kurz darauf gekommen war, hatte ihr gesagt, dass ihr Großvater sich nicht mehr erholen würde.
    Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als auf das Ende zu warten.
    Erste Regentropfen fielen in den Springbrunnen und schufen dort sich überschneidende Kreise. Dann kam es zu einem plötzlichen Platzregen, begleitet von flackernden Blitzen und lautem Donner. Elena hatte immer Angst vor Gewittern gehabt und wich vom Fenster zurück, beobachtete aber weiterhin die Bäume und Büsche des Parks, die sich im Hagel zu ducken schienen.
    »Ich wollte ihm nur den Tee bringen wie sonst immer …«
    Elena drehte sich mit einem Ruck um.
    Marta stand in der Tür, in den Händen ein Tablett und die

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