Das Reliquiar
Mitarbeiterin klar.«
»Ich danke dir«, sagte Elena.
»Allerdings habe ich das Gefühl, dass du etwas vor mir verbirgst.«
»Nein. Ich meine... Dies ist kein guter Zeitpunkt, um darüber zu reden. Ich erkläre dir alles so bald wie möglich, das verspreche ich dir.«
Es war eine Erleichterung für Elena, als sich die Trauergäste schließlich verabschiedeten, und der Saal sich allmählich leerte. Es war längst dunkel geworden, als auch das letzte Auto den Platz vor dem Schloss verließ, und Elena, die auf der breiten Treppe stand, drehte sich zur Tür um und zögerte. Sie fürchtete plötzlich, in dem riesigen Schloss allein zu sein, in dem die Präsenz ihres Großvaters noch immer deutlich zu spüren war und alle Gegenstände, von den Bildern bis zu den Möbeln, von ihm erzählten.
Und in dem es vermutlich viele Geheimnisse gab.
Vatikanstadt, 3. November 2006
Mit einemVergrößerungsglas betrachtete der Kardinal die Fotos auf dem Schreibtisch, hob dann den Kopf und sah den Mann an, der abwartend vor ihm stand. »Die Aufnahmen sind gut gelungen, aber ich fürchte, sie genügen nicht«, sagte er.
»Bitte verzeihen Sie,wenn ich Ihnen widerspreche,Eminenz, allein die Tatsache, dass Jacopo Castelli das Kreuz zu der Zeit gemalt hat, als er unter dem Schutz der Brandantis
stand, weist darauf hin, dass sich das Kreuz in ihrem Besitz befand und vielleicht noch immer befindet«, erwiderte der Mann.
»Es könnte sich um eine Kopie handeln. Es würde erklären, warum die Brandantis noch immer nach dem Kreuz suchen.«
»Vielleicht haben sie es wieder verloren. Nehmen wir einmal an, dass es aus irgendeinem unerfindlichen Grund verschwunden ist. Oder dass die Brandantis so getan haben und noch immer so tun, als suchten sie das Kreuz, um darüber hinwegzutäuschen, dass die Reliquie im Schloss der Familie an einem sicheren Ort liegt.«
»Das sind zu verschlungene Überlegungen«, wandte der Kardinal ein.
»Mag sein. Aber Jacopo Castelli kann das Bild nicht gemalt haben, ohne dass er das Kreuz vor sich sah. Und wo sonst könnte er es gesehen haben, wenn nicht bei den Brandantis?«
»Genau dafür bezahle ich Sie, damit Sie herausfinden, wo sich das Kreuz von Byzanz befindet. Ergreifen Sie alle Maßnahmen, die Sie für notwendig halten, aber bringen Sie mir das Kreuz. Es wäre sehr gefährlich, wenn es in die Hände von skrupellosen Leuten fiele.«
Der Mann lächelte. »Ich verstehe nicht, warum Sie sich so große Sorgen machen...«
»Es ist nicht nötig, dass Sie verstehen. Sie haben einen Auftrag erhalten, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie ihn ausführen. Gehen Sie jetzt, und vergessen Sie nicht, mich auf dem Laufenden zu halten.«
Der Mann verbarg seinen Ärger und ging. So viel Zurückhaltung von Seiten des Kardinals wies auf mangelndes
Vertrauen hin – wahrscheinlich war das Kreuz der Schlüssel zu einem Geheimnis, das der Vatikan um jeden Preis schützen wollte. Der Mann lächelte. Geheimnisse hatten ihm immer sehr gefallen, und dieses schien besonders interessant zu sein.
11
Rom, 30. August 1209
Kardinal Gerolamo Oldoini umarmte seinen Lieblingsneffen mit großer Herzlichkeit. Zur Feier seines Geburtstags hatte sich die ganze Familie versammelt, und jetzt, nach dem Bankett, überreichte sie ihm die Geschenke.
Langsam und mit zitternden Händen öffnete der Kardinal das Bündel, das Ugo ihm gereicht hatte, und mit offenem Mund starrte er darauf hinab. Für einige Sekunden verweilte sein Blick auf dem byzantinischen Kreuz. »Das ist wirklich ein prächtiges Geschenk!«, entfuhr es ihm. »Woher hast du dieses wundervolle Kreuz?«
»Von einem Händler, der mir schon einige andere Kleinode verkauft hat. Es freut mich, dass es Euch gefällt.«
»Es gefällt mir nicht nur, ich bin begeistert. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen. Es muss sehr alt sein. Zweifellos ein seltenes Stück, das einen Platz in meiner privaten Kapelle verdient.«
Alle wollten das Kreuz bewundern, und Oldoini zeigte es den Anwesenden, erlaubte aber niemandem, es zu berühren. Der Reihe nach brachten alle mit Ausrufen ihr Staunen und ihre Bewunderung zum Ausdruck. Und jeder Einzelne dachte verärgert, dass der junge Mann es wirklich gut verstanden hatte, die Gunst des Großonkels
zu erringen – ein Geschick, das es ihm vermutlich ermöglichen würde, beim Tod des Prälaten ein dickes Stück vom Erbe zu ergattern.
Die Aussicht auf dieses Erbe wirkte seit langem wie eine verborgene Kraft und erschütterte die Grundfesten einer
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