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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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Alter, der zusammengekauert im Rollstuhl saß, mit lichtem Haar, das Gesicht hohlwangig, voller Falten und mit einer Hakennase. Nur die Augen hatten etwas von damals bewahrt, ein Schimmern des alten Lichts. Zeit und Leid hatten ihrem Blick zwar etwas vom ursprünglichen Stolz genommen, aber er war noch immer recht eindrucksvoll.Als er sich nun auf Elena richtete, bekamen die Augen einen feuchten Glanz.
    »Opa...«, murmelte Elena und näherte sich ihm. Sie nahm vor ihm Platz und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.All die Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, blieben ihr im Hals stecken.
    »Ich bin ungerecht gewesen«, sagte ihr Großvater mit brüchiger Stimme. »Und deshalb hat Gott mich bestraft, indem Er mir erst Sohn und Schwiegertochter nahm und mich dann mit dieser Krankheit schlug.Aber ich bin Ihm dankbar dafür, dass Er mir Gelegenheit gibt, dich wiederzusehen. Ich habe deinen Lebensweg verfolgt... Du bist eine geistreiche, intelligente Frau geworden, und ich bin stolz auf dich. Endlich kann ich dir das sagen.«
    Elena errötete. »Du machst mich verlegen, Opa.«
    »Es ist die Wahrheit. Wenn dein Vater noch am Leben wäre, würde er mir zustimmen.«
    »Ich hatte das Glück, meinen Neigungen folgen zu können, erst mit dem Sport und jetzt mit meiner Arbeit. Mir hat die Liebe einer Familie gefehlt, aber ich bin von Personen umgeben gewesen, die ihr Bestes getan haben, die von meinen Eltern zurückgelassene Lücke zumindest teilweise zu füllen.«

    »Du steckst voller gesunden Menschenverstands, und das wundert mich nicht. In dieser Hinsicht ähnelst du deiner Mutter. Sie hat immer geglaubt, ich hielte sie für unserem Namen nicht ebenbürtig, aber da hat sie sich geirrt. Ich habe sie gemocht und geschätzt. Leider ist es mir nie gelungen, ihr meine Zuneigung zu zeigen, und ich fürchte, sie gab sich selbst die Schuld am Zwist zwischen mir und deinem Vater. Er hat ihr nie die Wahrheit gesagt, oder?«
    »Mein Vater hat das Geheimnis des Grundes für euer Zerwürfnis nie preisgegeben.Auch ich kenne ihn nicht.«
    Mit einem Seufzen setzte sich der Graf auf. »Ich habe viel zu lange gewartet«, murmelte er, und die Worte schienen in erster Linie ihm selbst zu gelten. Er streckte die Hand nach einem nahen kleinen Tisch aus, ergriff einen Samtbeutel und entnahm ihm ein silbernes Medaillon an einem Kettchen. Ein Kreuz war hineingraviert, umgeben von einer fast unleserlichen Inschrift. Die andere Seite zeigte das Profil von Konstantin dem Gro ßen. »Dies ist das Siegel des Konstantin-Ordens und der Hüter des Heiligen Kreuzes«, sagte Elenas Großvater in einem feierlichen Ton. »Ich bin der letzte Großmeister des Ordens. Dein Vater hätte meine Nachfolge antreten und die Mission fortsetzen sollen, zu der sich unsere Familie vor vielen Jahrhunderten verpflichtet hat. Aber er lehnte sowohl das eine als auch das andere ab und brach damit den Schwur.«
    Elena wusste nicht, was sie davon halten sollte. Für einen Augenblick fragte sie sich, ob ihr Großvater vielleicht den Verstand verloren hatte. Ein Medaillon? Ein Schwur? Der Schmerz und die Bitterkeit, die sein Leben
so nachhaltig geprägt hatten, sollten von diesem Gegenstand ausgehen? Stumm nahm sie das Medaillon und sah es sich an. Das Kreuz erschien ihr vage vertraut, und sie fragte sich, wo sie es schon einmal gesehen hatte.
    »Im vierten Jahrhundert gab die Mutter des Kaisers Konstantin bei einem Goldschmied ein mit Edelsteinen besetztes goldenes Kreuz in Auftrag, das in einem kleinen Fach ein Holzstück aufnehmen sollte – es stammte von dem Kreuz, an dem Jesus Christus gestorben ist. Kurz darauf gründete Konstantin den Orden, der seinen Namen trug und die Aufgabe hatte, das Kreuz zu schützen. Er hat es lange gehütet, bis zum Jahr 1204.«
    »Der vierte Kreuzzug...«, murmelte Elena. »Soll das heißen, das Kreuz ging bei der Plünderung von Konstantinopel verloren?«
    »Nein, es ging nicht verloren, zumindest nicht sofort. Venezianer entwendeten es einem unserer Vorfahren, einem gewissen Arrigo Brandanti, der ebenfalls Großmeister des Konstantin-Ordens war«, sagte der alte Graf. »Aber Arrigo war kein Mann, der einfach so aufgab. Er schwor, das Kreuz wiederzufinden, und für den Fall, dass ihm das nicht gelingen sollte, übertrug er die Mission auf seine Nachkommen: Sie sollten die Suche fortsetzen, bis es einem von ihnen gelänge, das Kreuz zu finden. Nach Arrigo haben viele andere Brandantis den Eid abgelegt – die Suche dauert nun

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