Das Reliquiar
Ausdruck zu verleihen.«
»Wo hast du ein solches Meisterwerk gefunden?«, fragte Lucrezia.
»Ich habe es keinem meiner Opfer abgenommen, liebe Schwester«, erwiderte Cesare spöttisch. »Es ist eine sonderbare Geschichte.Vor einigen Jahren habe ich ein Grundstück mit den Resten eines Palazzo gekauft, der offenbar einmal einem Feuer zum Opfer gefallen war. Meine Absicht bestand darin, ein neues Gebäude zu errichten. Doch während der Arbeiten stellte sich heraus, dass das Fundament auf den Überbleibseln eines sehr alten Bauwerks ruhte, das vielleicht aus der Römerzeit stammte. Ans Licht kam ein Keller, in dem, vielleicht seit Jahrhunderten, ein Schatz versteckt war, darin
zwei identische byzantinische Kreuze. Unglaublich, nicht wahr?«
»Und Ihr habt beschlossen, mir eins der beiden Kreuze zu schenken«, sagte Beatrice. »Was ist mit dem anderen?«
»Das habe ich meinem Vater geschenkt. Er trägt es jetzt an einer goldenen Kette und zeigt es allen voller Stolz.Was habt Ihr damit vor?«
»Ich weiß noch nicht, Herr.Aber ich werde es mit gro ßer Sorgfalt hüten, da könnt Ihr sicher sein.«
Elena saß auf dem Sofa und hielt die Hände im Schoß, als wären sie um den Kasten geschlossen.
Donna Beatrice hat also von Cesare Borgia ein byzantinisches Kreuz erhalten , dachte Nicholas. Aber war es das Original oder die Kopie? »Bitte erzählt weiter«, sagte er. »Was habt Ihr dann gemacht?«
»Ich bin nach Hause zurückgekehrt und wollte feStstellen, ob es sich um das echte Kreuz handelte. Cesare hatte den Fund von zwei Exemplaren erwähnt... Offenbar hatte jemand aus irgendeinem Grund eine Kopie anfertigen lassen. Aber ich wusste von dem kleinen Fach, und darin befand sich ein Stück vom Kreuz, an dem Jesus Christus gestorben ist.«
»Habt Ihr es Eurem Gemahl gezeigt?«
»Das ließ sich nicht vermeiden, denn immerhin war es ein Geschenk von Cesare. Aber Urbanos Zweig der Familie war nicht mit der Suche nach dem Kreuz beschäftigt – er sah nur einen Wertgegenstand darin, mehr nicht. Ich habe später ein Schmuckkästchen dafür anfertigen lassen und es gut versteckt...«
Es war spät geworden, und Elena wirkte müde. Nicholas beschloss, die Hypnosesitzung zu beenden.
»Habe ich etwas Interessantes gesagt?«, fragte Elena, als sie die Augen öffnete.
»Hör dir die Aufzeichnung an«, erwiderte Nicholas und spulte die Kassette zurück.
»Erstaunlich«, sagte Elena, als sie alles gehört hatte. »Jetzt wissen wir, wie Beatrice das Kreuz erhalten und dass Castelli das Original gemalt hat. Wir können also davon ausgehen, dass das von Cesare Borgias Goldschmied Ercole dei Fedeli geschaffene Kreuz wahrscheinlich nie existiert hat. Aber wir müssen noch herausfinden, wie das Kreuz erneut verschwinden konnte, und wohin.«
»Und wenn es gar nicht wieder verloren gegangen ist?«
Elena richtete einen überraschten Blick auf Nicholas. »Wie meinst du das?«
»Beatrice hat von einem Schmuckkästchen gesprochen, in dem sie das Kreuz aufbewahrte.Wir nehmen als selbstverständlich an, dass das Kreuz erneut verschwunden ist, und zwar nachdem Castelli es gemalt hat. Aber wenn Beatrice es an einem Ort versteckt hat, den nur sie kannte, und wenn sie das Geheimnis mit ins Grab nahm...«
»Eine faszinierende Theorie, aber auch ein bisschen weit hergeholt«, sagte Elena.
»Trotzdem: Es ist eine Möglichkeit, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Außerdem würde es durchaus Beatrices Charakter entsprechen.«
»Damit hätte sie alle verspottet und sich in gewisser Weise gerächt.«
»Ja, aber ich glaube nicht, dass sie das Kreuz für sich wollte. Es handelt sich um ein Objekt, das großen Einfluss auf die Geschichte ihrer Familie hatte. Deshalb ist es keineswegs absurd anzunehmen, dass sie ihren Erben Hinweise hinterlassen hat, die – richtig gedeutet – den Weg zumVersteck weisen. Und hier kommen wir wieder zu den Dokumenten, die aus dem geheimen Archiv deines Großvaters entwendet worden sind.Warum sie stehlen, wenn der Dieb nicht von ihrer Bedeutung in Hinsicht auf die Suche nach dem Kreuz überzeugt war?«
»Aber wie du schon gesagt hast:Wir brauchen die Dokumente nicht.« Elena lächelte. »Beatrice selbst wird uns das Versteck zeigen.«
Sie zuckten beide zusammen, als Elenas Handy klingelte. Sie zögerte kurz, nahm es dann und sah aufs Display. Der Anruf kam aus Sandriano.
»Hallo?«
»Ich bin’s, meine Liebe«, meldete sich Marta. »Ich wollte dir nur sagen, dass KommissarValente hier war und
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