Das Reliquiar
Massivholz zahlreiche alte Bücher beherbergten.
»Das scheinen alles Erstausgaben zu sein«, bemerkte Elena.
Enzo nickte. »Ja. Das Sammeln seltener Bücher ist Massimilianos große Leidenschaft. Nun, ich glaube, ihr habt das Wichtigste gesehen. Ich würde gerne noch bleiben, aber ich muss einen Termin wahrnehmen.«
»Kommst du hierher zurück?«, fragte Elena.
»Ja, in ein paar Tagen, denke ich. Ich gebe euch Bescheid.«
Enzo ging, zusammen mit dem Butler, und kurze Zeit später hörten sie einen Wagen, der sich vom Haus entfernte. Nicholas trat ans Fenster des Arbeitszimmers und beobachtete, wie der Lancia hinter der kurzen Auffahrt verschwand. Als er sich umdrehte, hatten sich tiefe Falten in seiner Stirn gebildet. »Warum hast du nicht darauf bestanden, woandershin zu gehen?«, fragte er.
»Ich wollte Enzo lieber in dem Glauben lassen, er hätte uns dazu überredet hierzubleiben«, antwortete Elena.
»Irre ich mich, oder findest du diese Sache ebenfalls seltsam?«
»Du irrst dich nicht. Ich habe heute Morgen Verdacht geschöpft, als Enzo sagte, er hätte auf dem Weg zu uns zwei Streifenwagen gesehen. Woher wusste er, dass die Polizei nach uns sucht?Von mir hat er nicht erfahren, warum wir Sandriano verlassen haben. Ich weiß nicht, was er plant und warum er uns hierhergebracht hat, aber wir bleiben nicht in diesem Mausoleum.«
»Bin ganz deiner Meinung. Und wie verschwinden wir von hier?«
»Wir schnappen uns einen der Wagen, die wir in der Garage gesehen haben. Die Schlüssel hängen an einer Tafel, jeder Schlüsselbund ist mit einem Schild versehen, auf dem die jeweilige Automarke steht.«
»Du willst einen Wagen stehlen?«
»Nein, ich will mir einen ausleihen.«
»Und der Butler?«
»Wir warten, bis er schlafen gegangen ist.«
18
Schloss Sandriano, 3. Dezember 1225
»Es fängt wieder an zu schneien«, sagte der Wächter und rieb die Hände aneinander, um sie zu wärmen.
»Seit Jahren hat es keinen so strengen Winter mehr gegeben«, erwiderte der andere Mann und ließ den Blick über die weiße Landschaft schweifen. »Gott segne die Herrin dafür, dass sie unsere Familien im Schloss aufgenommen hat, damit sie nicht erfrieren oder krank werden.«
»Und möge Gott geben, dass sie den Herrn Grafen wohlbehalten wiedersieht.«
»Seit wie vielen Jahren ist er im Heiligen Land?«
Der Wächter zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht genau. Seit vielen.«
»Nur wenige von denen, mit denen er aufgebrochen ist, sind heimgekehrt, aber der alte Kreuzfahrer, der letztes Jahr hier vorbeikam, hat ihn angeblich lebend gesehen.«
»Der alte Bursche hätte alles behauptet, um einen Teller Suppe zu bekommen.«
Der andere Mann antwortete nicht, denn eine Bewegung in der Ferne hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. »Siehst du das?«, fragte er.
Der Wächter hielt Ausschau. »Das sind Ritter, und sie kommen hierher!«
»Kannst du die Insignien erkennen?«
»Noch nicht... Doch, jetzt sehe ich sie... Es sind die unseren!«
»Das ist Graf Manfredi! Er kehrt heim!«
Auch die anderen Wächter hatten die Insignien erkannt. Jemand lief los und gab dem Kommandeur Bescheid, der sofort zur Schlupfpforte eilte und den Befehl gab, das Tor zu öffnen und die Zugbrücke herabzulassen. Alle waren aufgeregt, und obwohl die kleine Gruppe inzwischen nur noch einen Pfeilschuss entfernt war, fiel es ihnen schwer, in den erschöpften Männern mit den ausgemergelten, sonnengebräunten Gesichtern den Grafen und seine Waffenbrüder zu erkennen.
Eine kleine, nur in einen Mantel gehüllte Gestalt eilte über den Hof. Als Elisa die Neuigkeit gehört hatte, war sie sofort losgelaufen. Ihre Schwägerin Ermelinda war aufgestanden, um ihr zu folgen, doch die Ehefrau des Vasallen hatte sie zurückgehalten. »Seit zehn Jahren haben sie sich nicht gesehen«, hatte sie gesagt. »Sie haben ein Recht darauf, eine Zeit lang allein zu sein.«
Ermelinda hatte verärgert die Lippen zusammengepresst, den Kopf gesenkt und sich darauf beschränkt, verstohlene Blicke zur Tür zu werfen, durch die Elisa gerade verschwunden war.
Ungeachtet des Schnees und der Kälte lief Elisa ihrem Bruder entgegen und umarmte ihn. »Du bist zurück! Du bist zurück!«, rief sie. »Ich danke Gott, dass Er meine Gebete erhört hat.«
Manfredi wich ein wenig zurück und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. »Meine geliebte Schwester, mir zerspringt fast das Herz aus Freude darüber, dich
endlich wiederzusehen. Du ahnst nicht, wie oft ich in all diesen Jahren
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