Das Rennen zum Mars
entscheiden. Neues Weltraum-Gesetz«, stellte Viktor klar.
Kopfnicken reihum. Für kurze Zeit herrschte Schweigen. Julia verspürte ein sonderbares Gefühl der Leichtigkeit, doch sah sie zugleich, welcher nervlichen Anspannung die anderen unterlagen.
»Eins würde mich noch interessieren. Wie hast du das gemeint, als du sagtest, du hättest eine ›Mars‹-Lösung?«, fragte Marc.
Sie freute sich über die Gelegenheit, aus dem Nähkästchen zu plaudern. »Es ist eine reine Gefühlssache, aber ich glaube nicht, daß die Mars-Matte nur ein einziger Organismus ist. Es handelt sich um eine Lebensgemeinschaft aus verschiedenartigen einzelligen Organismen. Wie zum Beispiel ein Stromatolith oder eine Qualle.«
»Stromatolithen … hilf mir auf die Sprünge«, sagte Raoul.
Sie wunderte sich über eine solche Frage von Raoul, der sich bisher nämlich kaum für Biologie interessiert hatte. Sie hatte den Eindruck, daß die aktuelle Problematik ihn belastete und daß er deshalb das Thema wechseln wollte.
»Stromatolithen sind Schichten aus lebendigen Organismen, die auf vom Meer überfluteten Steinen leben. Diese Schichten bestehen im wesentlichen aus Grünalgen und Schlick. Als Lebensform sind sie sehr alt, vielleicht drei Milliarden Jahre. Zumindest gibt es in manchen Gesteinsformationen wellenförmige Schichten dieses Alters, bei denen es sich vielleicht um Stromatolithen-Fossilien handelt.«
»Die Vergangenheit der Erde ist die Gegenwart des Mars?«, fragte Claudine.
»O nein, sie existieren nicht nur als Fossilien. Ich habe lebende Stromatolithen an der australischen Westküste in der Nähe von Perth gesehen. In den Küstengewässern des Indischen Ozeans.«
»Sie existieren schon seit drei Milliarden Jahren? Mon Dieu! Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Worauf ich eigentlich hinauswill, ist nicht ihr Alter, sondern wie sie überleben. Anaerobe mit verschiedenen metabolischen Anforderungen sind imstande, ein ›Tandem‹ zu bilden, wobei der ›Hintermann‹ von den Ausscheidungen des ›Vordermanns‹ sich ernährt.
Das ist eine gemeinschaftliche Überlebensstrategie.«
»Die notwendig wurde, weil auf dem Mars von Anfang an sehr ungünstige Lebensbedingungen geherrscht haben?«, fragte Raoul.
»Das ist plausibel. In gewisser Weise entspricht das auch der alten
›Erd-Lösung‹. Bevor die sauerstoffatmenden vielzelligen Lebensformen die Wettbewerbsbedingungen verschärften, hatten die Anaeroben ein anderes System angewandt. Im Grunde tun sie das heute noch. Werden Bakterien in ihrer Umgebung mit einem Gift konfrontiert, müssen sie nicht erst warten, bis eine zufällige Mutation ihnen aus der Patsche hilft. Sie besorgen sich einfach ein nützliches Gen bei einem anderen Bakterium. Und nicht nur bei gleichartigen Stämmen, sondern auch bei solchen, zu denen nicht einmal eine enge Verwandtschaft besteht. Aus diesem Grund nimmt auch die Resistenz gegen Antibiotika so schnell zu.«
Weil die anderen etwas verständnislos schauten, setzte sie nach:
»Was ich damit sagen will, ist, daß die Anaeroben zusammenarbeiten anstatt gegeneinander. Anstatt im Konkurrenzkampf mit anderen Organismen derselben Art einen Vorsprung anzustreben, marschieren alle gemeinsam voran. Ich glaube, genau das hat die Mars-Matte getan. Und wir sollten das auch tun.«
»Das ist eine überaus erfreuliche Erkenntnis«, sagte Marc lächelnd.
»Du hast viel gelernt bei deinen bisherigen TriVid-Auftritten.«
»Schönfärberei lag nicht in meiner Absicht.« Julia warf ihm einen verweisenden Blick zu und schaute dann zu Viktor hinüber. Der verzog keine Miene.
»Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber wir stehen hier mit dem Rücken zur Wand. Welche Möglichkeiten hätten wir sonst noch?« fragte Marc.
Raoul schaute auf. »Ja, aber wer ist die Nummer Zwei?« Er nickte in Richtung des Erd-Mars-Chronometers, das an der Wand hing. Ein gespanntes Schweigen trat ein. »Ein Freiwilliger?«
Julia schaute in die Runde und sah allenthalben zusammengepreßte Lippen und betrübte Blicke.
»Wir müssen was tun«, sagte Raoul eindringlich. »Will jemand die Erde anrufen?«
Marc nickte. »Wir können es nicht ewig aufschieben.« Er stand auf.
»Wir sollten eine Lösung gefunden haben, bevor wir anrufen«, sagte Viktor. »Ich habe einen Entschluß gefaßt. Ein Kapitän sollte sein Schiff nicht aufgeben. Claudine fliegt mit ihrem Schiff zurück, und ich bleibe mit meinem hier.«
»Bist du sicher?«, fragte Raoul fassungslos. »Es gibt doch bestimmt
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