Das Rennen zum Mars
Janet wünschte Viktor eine baldige Genesung und übermittelte ein paar Ratschläge des Ärzteteams. Damit war der öffentliche Teil der Übertragung beendet, und Janet sprach technische Einzelheiten des bevorstehenden Probelaufs an. Viktors Unfall stellte ein echtes Problem dar. Janet versäumte es auch nicht, auf das Offensichtliche hinzuweisen: der verstauchte Knöchel würde eine Beeinträchtigung des Kommandanten darstellen, falls beim Probelauf des Retour-Schiffs Probleme am Triebwerk auftraten. Was anfangs wie ein Routinetest aussah, drohte sich nun zu einer Krise auszuwachsen.
Zumal sie schon genug Sorgen hatten. Das ERV war seit ihrer Ankunft ein heikles Thema gewesen.
Bald nach der Landung hatten sie festgestellt, daß das Retour-Schiff beschädigt war. Wegen eines mißglückten Luftbrems-Manövers war das Retour-Schiff etwas zu schnell reingekommen, so daß bei der Landung Brennstoffleitungen und Ventile an der Peripherie des Triebwerks beschädigt worden waren. Die Diagnosesysteme hatten die Schäden aber nicht registriert, weil die Leitungen nicht unter Druck standen. Da die Schäden zum Teil irreparabel waren, hatte Raoul improvisieren und die wichtigen Teile nachfertigen müssen. In Zusammenarbeit mit den Ingenieuren auf der Erde hatte er während der gesamten Zeitdauer der Mission schon Reparaturen ausgeführt.
Allerdings verließ er sich dabei nicht nur auf seine technische Ausbildung, sondern machte sich auch das mexikanische Improvisationstalent zunutze, das in seiner Familie Tradition hatte. Sein Vater und Onkel besaßen eine gutgehende Werkstatt in Tecate, direkt an der Grenze zu den USA. Er war mit Schmieröl und dem Schraubenschlüssel in der Hand aufgewachsen. Für jemanden, der aus einem Land des chronischen Mangels stammte, war ›Wiederverwendung‹ kein Ausweis korrekten Umweltbewußtseins, sondern schiere Notwendigkeit.
Viktor bewunderte seine Arbeit, denn in dieser Hinsicht hatten sie einiges gemeinsam. Das russische Raumfahrt-Programm, dessen Ursprünge noch in der Sowjet-Ära lagen, hatte nämlich genauso gearbeitet. Die Kosmonauten der Mir waren Experten im Ausschlachten elektronischer Baugruppen zur Ersatzteilgewinnung. Obwohl Raoul ein wahrer Meister beim Wiederverwenden und ›Passendmachen‹ von Teilen war, hatte er noch nie unter einem solchen Druck gearbeitet. Ihre Rückkehr, und wohl auch ihr Leben, hing von seinem handwerklichen Geschick ab.
Sie beendeten die Übertragung mit einem leisen Mißklang. Es waren noch zwei Monate bis zum Start, und die Zeit lief.
* * *
Nachdem sie sich abgemeldet hatten, eilte Julia in ihr winziges Labor, wo sie die Probe deponiert hatte. Sie überflog das übliche Chaos in der Kammer. Wozu brauchte sie das Labor überhaupt, fragte sie sich, wenn sie doch kein lebendes Studienobjekt fand.
Ach, da war es. Sie hielt den versiegelten Beutel gegen das Licht.
Das mit dem Spatel abgekratzte Material wirkte feucht und wies eine orangefarbene Schliere in der Mitte des feuchten Punkts auf. Etwas, das wie Wassertropfen aussah, war über dem feuchten Fleck an der Innenseite des Plastikbeutels kondensiert. Also gab es Wassereis an der Peripherie der Fumarole! Das war an sich schon eine große Entdeckung – bedeutete es doch, daß es irgendwo unter der Oberfläche flüssiges Wasser gab und daß die Wolke, die sie gesehen hatten, Wasserdampf war. Vielleicht waren sie alle heute auf Wasser gestoßen.
Sie legte den Beutel unter das Seziermikroskop, um einen kurzen Blick auf die orangefarbene Schliere zu werfen. Es handelte sich wahrscheinlich nur um Staub, der von Eis umschlossen war, doch sie überprüfte es trotzdem.
Sie schaute durchs Okular und erwartete, das vertraute Gemisch aus körnigem Staub und Sandpartikeln zu erblicken. Der Erwartung wurde auch entsprochen – doch war das noch nicht alles.
Sie drehte die Objektive, um die Darstellung zu vergrößern. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das, was in den filigranen Fasern des Abstrichs eingeschlossen war, hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Zellresten.
Sie lehnte sich zurück. Die Gedanken jagten sich; im Geiste ging sie zur Fundstelle zurück und fragte sich, ob die Probe bei der Entnahme vielleicht verunreinigt worden war. Der Spatel war sauber gewesen und hatte sich noch in der sterilen Verpackung befunden.
Er war identisch mit allen anderen Spateln, die sie zuvor erfolglos benutzt hatte. Und sie hatte die gleiche Technik wie immer angewandt. Nur daß es wegen Viktors Unfall
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