Das Riff der roten Haie
Junge lächelte verschlafen und zufrieden, als er ihn trockenrieb und auf den Topf setzte.
Dann schob er die Tür auf und ging auf die Veranda. Er blickte sich um. Nun wußte er, was so seltsam, so anders war an diesem Morgen: Die Stille … Irgendwann in seinen Träumen hatte er einen kurzen abgebrochenen Hahnenschrei gehört, daran erinnerte er sich genau. Nun aber – kein Laut. Dabei war es die Stunde der Vögel. Überall in den Zweigen und in den Baumkronen unterhielten sie sich, flogen hin und her, besangen den Morgen. Nicht jetzt. Und nicht nur das Schweigen war beunruhigend, auch Felsen, Bäume, Sträucher waren wie erstarrt.
Drüben in Rons Fale rührte sich nichts.
Hendrik goß sich Tee auf, und es wurde ihm klar, daß er keinen gewöhnlichen Wetterwechsel erlebte. Hier kündigte sich Größeres, Schlimmeres an.
Hendrik verbrannte sich den Mund an der Tasse, ließ den Tee stehen, lief hinaus durch den Garten und dann den Hang hoch, um sich einen Blick auf das Meer zu verschaffen. Von Lanei'tas Haus war es nicht zu sehen.
Ein Pazifik wie Metall.
Der Horizont hatte sich in schmutzige Rauchbändel aufgelöst. Im Nordosten aber schob sich tiefdunkel und keilförmig wie ein geballtes Zeichen von Gefahr eine dunkle Form in den Himmel, verbreitete sich an der Spitze zu einer Art pilzförmigen Überwölbung. Hendrik hatte nur einmal einen Hurrikan erlebt. In den Bergen der Philippinen. Und er war über ihn und das Dorf, in dem sie die Station hatten, ohne Vorankündigung gekommen. Da die Batterien ihres Gerätes erschöpft waren und sie das Radio nicht anstellen wollten, um den letzten Strom für Notrufe zu sparen, mußten sie völlig unvorbereitet den Höllenwirbel von Wasserstürmen und Weltuntergang ertragen. Dabei waren sie lediglich von einem Ausläufer der Wirbelstürme getroffen worden …
Er rannte zurück zu Lanei'tas Fale.
Er hatte das Haus noch nicht erreicht, als er die Menschen sah, die den Weg zwischen den Palmen und den Zuckerrohrpflanzen heraufeilten. Es waren Frauen. Zwei ältere Frauen und zwei Mädchen. Sie alle trugen Lasten auf dem Kopf. Dahinter kam eine Gruppe Kinder. Sie schrien laut und hell durcheinander.
Die erste der Frauen hatte ihn erreicht. Dick war sie und breithüftig. In ihren dunklen Augen standen Angst und Entschlossenheit zugleich. Er kannte sie. Doch wie sollte er in der kurzen Zeit all die Gesichter und Namen auseinanderhalten?
»Was ist? Wo geht ihr hin?«
Sie sagte etwas – und er verstand nur das Wort ›G'erenge‹.
Ron hatte ihm den Namen schon genannt. War das nicht der Gott des Sturmes, der böse Gott …?
Eines der Mädchen hob den Arm und deutete den Hang hoch. Er folgte der Bewegung und sah einen horizontalen Felseinschnitt. Er sah aus wie der Eingang zu einer Höhle. Der helle Fleck – ja, da bewegte sich ein Mann! Er sah zu ihnen herunter und winkte …
Der Berg war die Zuflucht, die sie in solchen Situationen aufsuchen, ihre Festung gegen den Sturm … Unten nahm ihn wieder die dunkle Stille des Fales auf. Jacky saß noch immer auf seinem Topf. Lanei'ta hatte sich angezogen und war dabei, seinen Brei zu rühren.
Hendriks Herz schmerzte plötzlich. »Lanei'ta … ein Hurrikan.«
Sie ließ den Löffel sinken, drehte sich um und sah ihn aus weit geöffneten Augen an.
»Und er kommt bestimmt? Weißt du es …«
»Ja. Die Leute gehen schon in die Höhle.«
Äußerlich blieb sie ruhig, aber er beobachtete, wie sich ihre Finger zusammenkrampften. Sie blickte zu Jacky hinüber. Dann fragte sie: »Wissen es Tama und Ron? Hast du sie gesehen?«
Er schüttelte den Kopf.
Ihre Lippen begannen zu zittern. Sie stand auf. Er ging zu ihr, nahm sie in den Arm. »Hab keine Angst, Lanei'ta. Wir gehen zur Höhle, die ist sicher.«
Sie nickte. »Laß zuerst die Ziege frei. Und dann die Hühner. – Und … schau nach Tama.«
Er lief wieder hinaus, durch den Garten, hinüber zu Tamas und Rons Haus. Als er an der Werkstatt war, brüllte er: »Ron …«
Er erhielt keine Antwort. Doch in der Luft war nun ein feines Sirren. Die Palmenblätter rieben aneinander. Wind kam auf.
»Ron!«
Oben an der Treppe stand Tama.
»Wo ist er?« rief Hendrik zu ihr hoch.
»Ron? Ist er nicht bei dir im Haus? Ich dachte, er sei bei euch.«
In ihrer Stimme waren Dringlichkeit und Verzweiflung. Er lief zur Treppe.
»Sein Bett ist leer«, sagte sie. »Er hat Kaffee getrunken. Er ist weg.«
»Vielleicht ist er zur ›Paradies‹? Ein Sturm kommt auf. Vielleicht sucht Ron
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