Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
wellig, soweit man bei seinem Kurzhaarschnitt erkennen konnte, und wirkte insgesamt, als hätte er die Polizeischule noch nicht allzu lange hinter sich gelassen. Ob sie ihn überreden konnte, sie gehen zu lassen?
„Der Eschersbacher Kollege hat in deiner Suchmeldung unter den besonderen Kennzeichen eine 'vorlaute Schlagfertigkeit' vermerkt. Ich beginne das zu verstehen.“
„Dann wissen Sie, wer ich bin. Warum also dieses ganze Spielchen von wegen üblicher Klientel?“
„Nicht gleich so aggressiv, junge Dame. Als ich dich sah, habe ich dich natürlich nicht sofort erkannt. Weißt du, wie viele Suchmeldungen wir hier in Frankfurt jeden Tag auf den Tisch kriegen? Deshalb habe ich nochmal Kontakt mit dem Revier aufgenommen, und die haben deine Beschreibung bestätigt.“
„Das scheint Sie unheimlich zu freuen. Ich hoffe, Sie kriegen ein ordentliches Kopfgeld für mich.“
„Die Sache ist die“, begann er, während er unsicher auf den Zehen wippte, „in deinem Heimatort gab es einen gewaltsamen Todesfall, mutmaßlich Mord, und der Kollege möchte dir gern ein paar Fragen dazu stellen.“
Lea atmete geräuschvoll aus. Dann stimmte es also, was sie befürchtet hatte. „Sie suchen mich wegen Mordes, ja? Sie denken, ich bin eine Mörderin?“
„Wir sind noch lange nicht so weit, konkrete Verdächtigungen---“
„Das ist doch Gewäsch!“, schrie sie ihn an. „Sie wollen mich verhaften, weil Sie die Wahrheit nicht glauben können! Ich kann Ihnen sagen, wer an diesem Tod schuld ist! Es sind ein Mann und eine Frau, und sie leben unbehelligt mitten in Prag. Sie morden, sie reißen Familien auseinander, wenn es ihren Geschäften nutzt! Und obwohl sie ihn nicht selbst durchgeführt haben, tragen sie auch an diesem Mord die Schuld! Aber das interessiert Sie nicht! Ich war bei Kommissar Ritterbusch, ich war bei ihm und habe ihm alles erzählt, bevor die Katastrophe eintrat! Und wissen Sie was? Er hat mich hinausgejagt! Das alles ist seine Schuld! Wenn er ...“
„Na na na“, unterbrach der junge Beamte bestimmt. Lea registrierte aus dem Augenwinkel, wie er den Druckknopf seines Pistolenhalfters löste. „Wer ist nun schuld? Die beiden Prager oder Hauptkommissar Ritterbusch? Oder etwa die jüdische Weltverschwörung? Al-Qaida?“
„Machen Sie sich nur Ihren Spaß. Los, verhaften Sie mich! Das Morden wird trotzdem weitergehen.“ Unvermittelt drehte sie sich um und rannte. Er brauchte eine Schrecksekunde, bevor er die Verfolgung aufnahm, aber als Lea sich umsah, wurde ihr schnell klar, dass ihre Chancen denkbar schlecht standen. Sie hatte immer noch Schmerzen in ihrem verletzten Bein, obwohl Frau Tönges sogar einen Arzt hatte kommen lassen, ohne weitere Fragen zu stellen („Damit lehne ich mich sehr weit aus dem Fenster, Skinny, das ist absolut total verboten! Ein Messerstich!“). Außerdem kannte er sich wahrscheinlich viel besser aus als sie, sodass die Wahrscheinlichkeit, irgendwo in der Dunkelheit auf unbekanntem Gelände zu verschwinden, wohl gegen null ging.
Schon kam er näher. Sie blickte hektisch nach links und rechts, aber keine unbeleuchtete Seitengasse wollte auftauchen. Das Bein pochte, bald würde die Wunde wieder aufgehen, und diesmal würde keine Frau Tönges in der Nähe sein, kein Arzt, der sie unter Wahrung ihres Inkognitos wieder herrichtete, sie würde entweder verbluten oder in einem Krankenhaus landen. Einem Gefängniskrankenhaus.
Verrückt, dass sie glaubten, sie hätte etwas mit dem Mord zu tun. Aber andererseits nur logisch. Wenn man sich die Realität eben so zurechtbog, dass sie mit dem eigenen, von klein auf gelernten Weltbild übereinstimmte.
Voller Verzweiflung warf sie sich gegen ein eisernes Tor, das eine breite LKW-Einfahrt verschloss. Es gab kein Stück nach. Ob sie darüberklettern konnte? Rennen konnte sie jedenfalls nicht mehr, sie war außer Atem, und ihr Bein explodierte beinahe.
Mit einem Sprung erreichte sie mit den Händen die obere Kante in etwa zweieinhalb Metern Höhe. Jetzt hochziehen, jetzt! Aber es war so schwierig, das Tor hatte nur längsseitige Gitterstäbe, da war nichts, wo sie ihren Fuß hätte abstützen können. Klimmzug, Lea, Klimmzug, in Sport ging's doch auch ... nur war in Sport eben kein bewaffneter Polizist hinter ihr, und sie hatte keine Stichwunde im Bein.
Jetzt! Mit letzter Kraft schaffte sie es, ihren Oberkörper auf die Kante des Tores zu wuchten. Im selben Moment spürte sie, wie eine Hand sich um ihren Knöchel schloss und
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