Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
ich das Ma gegenüber nicht zugeben wollte. Sie sind wahrscheinlich mehr als wir, und schneller und stärker sowieso. Wir haben Wasserpistolen. Selbst wenn man sie mit Säure füllt, bleibt es doch irgendwie lächerlich, findest du nicht? Mit Wasserpistolen und Spritzflaschen gegen Vampire. Nein, unsere Chancen stehen nicht zum Besten, und deshalb bitte ich dich, dass du uns hilfst. Ich kann dir nicht versprechen, dass ich danach jeden Sonntag in die Kirche gehe, aber ich verspreche dir, mein Gewissen in Zukunft nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Aber bitte lass uns irgendwie da durchkommen, ja? Besonders die beiden anderen, deren Krieg das ja eigentlich gar nicht ist ... und meinen Vater. Dafür wäre ich dir ewig dankbar.“
Sie sah zu der Jesusstatue hoch, deren Augen noch immer geschlossen waren. Hatte das Ewige Licht eine Sekunde lang geflackert? War da eine Bewegung in den Flügeln des Erzengels gewesen, der als Relief die Tür des Tabernakels zierte?
Ihr fiel ein Satz ein, den sie in ihrem Geschichtsbuch gelesen hatte. Er schien so gut auf sie zu passen, dass sie ihn laut aussprach.
„Lieber Gott, wenn es dich gibt, rette meine Seele, wenn ich eine habe!“
Dann senkte sie den Kopf und bemerkte überrascht, dass sie unwillkürlich die Hände gefaltet hatte.
Als sie zu ihrem Schlafplatz hinüber ging, wurde ihr bewusst, dass Bülents Schnarchen ausgesetzt hatte. Er war doch nicht etwa wach gewesen? Sein Atem ging immer noch ruhig und gleichmäßig. Aber er könnte dennoch gehört haben ...
Ach, egal.
Sie krabbelte in ihren Schlafsack, ohne sich auszuziehen, und starrte lange an die weiß getünchte Decke der Sankt-Georgs-Kirche.
69. Kapitel
Der Saal, in dem die drei Vampire sich befanden, war so groß wie ein halbes Fußballfeld. Er wirkte wie ein gewaltiger, unterirdischer Bahnhof, nur dass er mit Kerzen und Fackeln erleuchtet wurde anstelle von Neonröhren.
Genau genommen war es sogar ein Bahnhof. Stolze Stadtväter hatten ihn sich vor Jahrzehnten ausgedacht. In ihren Köpfen hatten Bilder gespukt von der Pariser Metro oder der Berliner U- und S-Bahn, weit verzweigten Netzwerken, gegen die Prags drei Untergrundlinien sich allzu bescheiden ausnahmen. Die Ost-West-Achse von Žižkov nach Strahov sollte die Überlegenheit des sozialistischen Systems unter Beweis stellen. Als strahlende Galionsfigur der neuen, vierten Linie sollte der Bahnhof „Karlův Most“ östlich der Karlsbrücke dienen. Aber bald wurde klar, dass die geplante Untertunnelung der Moldau Stadt und Nation an den Rand der Pleite getrieben hätte. Das Projekt wurde stillschweigend beerdigt und der bereits fertiggestellte Bahnhof für einen symbolischen Betrag an eine mysteriöse Prager Geschäftsfrau verkauft, der man sehr gute Beziehungen zur Stadtführung nachsagte.
Der riesige Raum gliederte sich in zwei Bereiche: den prächtigen, mit Mosaiken geschmückten einstigen Bahnsteig und – noch mehr Fläche einnehmend – die ausgehobene Grube, in der die zahlreichen Gleise hätten Platz finden sollen.
Diese Vertiefung bildete heute einen großen künstlichen See, dessen Wasser einen unheilvollen Dampf absonderten, der wie Nebel über der Flüssigkeit schwebte. In der Mitte des Sees befand sich eine kleine Insel, eine Plattform aus Stein oder einem ähnlichen Material, das war auf diese Entfernung nicht genau zu erkennen.
Am Rande des Gewässers stand eine Kontrolleinheit, deren einzige Bedienungselemente zwei mit Pfeilen versehene große Knöpfe waren: nach oben und nach unten. Diese Steuerung galt einem aus engmaschigen Metallgittern bestehenden Steg, der an Drahtseilen unter der Decke hing und heruntergelassen werden konnte, damit man trockenen Fußes die Insel betreten konnte.
Außerdem waren die Wände des Saales, wie überall in diesem Haus, mit Schusswaffen aus allen Ländern und Epochen geschmückt, fein säuberlich aufgereiht mit der dazugehörigen Munition und weiteren Erinnerungsstücken aus großen und kleinen Kriegen.
„Gefällt Ihnen meine kleine Sammlung, Leonardt?“, fragte Palazuelo stolz. „Es hat lange gedauert, sie zusammenzutragen. Kommt mir vor, als seien es Jahrhunderte gewesen ... he! Es sind Jahrhunderte gewesen!“ Er lachte laut und dreckig und führte seinen Gefangenen unter den Blicken Doña Elisas zu der Kontrolleinheit, einem großen, chromglänzenden Kasten. Ein Schlag mit der Faust gegen den unteren der beiden Knöpfe ließ die Maschine erbeben, und zitternd senkte sich der
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