Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
versuchte es noch einmal. Nichts. Es war, als hätte man ihr einen fremden Arm aus Pappmaché angeklebt, der gar nicht zu ihrem Körper gehörte.
„Ich kann den Arm nicht mehr bewegen“, murmelte sie ungläubig. Und immer noch hing da dieses ferne, gehässige Lachen in der Luft.
„Ich kann den Arm nicht mehr bewegen“, wiederholte sie.
Und ein drittes Mal, mit zunehmender Panik: „ Ich kann den Arm nicht mehr bewegen! “
„Siehst du?“, rief Lucy ihr zu, „du hättest einfach aufgeben sollen. Jetzt bist du gezwungen aufzugeben. Das sind die Kräfte des Jägers, kleine Lea. Julio hat mir ein wenig davon zu kosten gegeben. Er kann seine Fähigkeiten an andere ...“
Die Stimme verlor sich irgendwo in Zeit und Raum. Auch die Lichtung schien weit weg zu sein, oder zumindest wirkte sie seltsam verzerrt, wie in einem Alptraum. Und der Alptraum kam wieder, als Lea vergeblich versuchte, ihrem linken Arm wieder Leben einzuhauchen, er kam in Gestalt des Schwarzen Mannes ohne Gesicht, der sie erschießen würde, und sie stand inmitten der wirbelnden Farben und Formen und hatte eine Aufgabe und war gelähmt, und das allzu bekannte Gefühl der allumfassenden ANGST ergriff von ihr Besitz. Ihr Herz schien mit jedem neuen Schlag aus dem Brustkasten zu springen, ich kann den Arm nicht mehr bewegen , ihr Atem ging schneller, bis sie nur noch hechelte, sie spürte den Schweiß auf ihrer Stirn, aber es schien die Stirn von jemand anderem zu sein, sie selbst zog sich zurück, die ANGST in diesem Körper war zu viel, war nicht zu ertragen. Es war, als ob ihr Geist von einem entfernteren Punkt aus die Szenerie beobachtete, als ob ihre Seele zusähe, wie dort ein von phobischen Qualen geschüttelter Körper die Kontrolle über sich verlor, und ihr Geist hörte das sturmstarke Schreien, das aus diesem Körper kam, und sah, wie der rechte, der gesunde Arm um sich schlug, und plötzlich reagierte dieser Körper nur noch mit seinen Instinkten, alles Denkende war aus ihm gewichen, da war nur noch ANGST und Bedrohung und Gespür und atavistisches Zucken, der Arm flog mit unerwarteter Kraft hierhin und dorthin, Äste und kleine Bäume splitterten und fielen zu Boden, aber die Schreie und Schläge vertrieben nicht die ANGST, und so schrie der Körper noch lauter und stieß der Arm noch schneller zu, und noch schneller, Füße traten um sich, und jedes Ziel in erreichbarer Nähe wurde mit der Kraft dieser ANGST in Stücke geschlagen, niedergestreckt, aber die Bewegung kehrte nicht in den Arm zurück, und so blieb die ANGST eine lange, lange Zeit in dem Körper stecken, bis die Kraft, die Hormone, der Sauerstoff, die Energie in ihm restlos aufgebraucht waren und er wie in Zeitlupe in einer weichen, fast grazilen Bewegung auf den Blätterboden sank.
76. Kapitel
„Wake up, little Susie, wake up“, sang eine Stimme.
„Wake up, little Lea, wake up“, sang sie weiter.
„Wake up, little Susie, wake up ... shit, weiter kann ich den Text nicht“, fuhr sie fort.
Lea blinzelte in das weißlich-gelbe Wintersonnenlicht. Alles Trübe war aus dem Tag gewichen, er war nun klar und hell und klirrend kalt.
Ein Schatten schob sich vor die Sonne, noch zu unscharf, um ihn zu erkennen. Aber die Stimme ... war das nicht ...
„Bülent?“
Er lachte erleichtert auf. „Hundert Punkte, Mann“, stieß er hervor. „He, einen Moment lang hab ich mir Sorgen gemacht, ob du überhaupt noch aufwachst.“
Sie drückte ihre Augen fest zusammen und öffnete sie wieder. Allmählich wurde die Szenerie klarer. Sie erkannte Bülents Gesicht und eine gewaltige Beule auf seinem Hinterkopf.
„Souvenir von unserer gemeinsamen Freundin“, witzelte er und fuhr sich leicht mit den Fingern darüber.
„Lucy? Was ist mit ihr passiert? Wo ist sie?“ Lea versuchte sich aufzurichten, aber es gelang ihr nicht. Erst dann kam ihr wieder in den Sinn, was geschehen war. Mit angehaltenem Atem probierte sie erneut, ihren linken Arm vorsichtig anzuheben.
Nichts.
Sie spürte, wie ihr Atem wieder schneller ging, wie ihr Herz wieder zu klopfen begann, und einige Sekunden lang setzte ihre bewusste Wahrnehmung aus. Aber dann lag sie wieder da, und Bülent war immer noch über ihr. Der Anfall war zu Ende.
„Ähm“, räusperte er sich, „was mit Lucy passiert ist ... das wollte ich eher dich fragen.“
„Wie bitte?“ Sie hob ihren Kopf, aber schon nach kurzer Zeit sank sie zitternd wieder zurück. Sie musste sich in ihrer Raserei vollkommen verausgabt
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