Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Jahre älter zu sein. Aber schließlich hatte er, Leonardt, ja sogar seine ehemalige Lehrerin geheiratet. Valeska ... seine Frau, seine Familie, Eschersbach, das Bürgerhaus, alles schien sich weit entfernt zu haben. Wichtig war jetzt der Große Auftrag. Wichtig waren die beiden integren Personen, die eigens aus Prag angereist waren, um sich mit ihm, Johannes Leonardt, Mister Sicherheitstechnik, zu treffen. Er würde ihr Haus zu einer uneinnehmbaren Burg umfunktionieren. Er würde sich damit sein eigenes Denkmal setzen.
„Ich habe Ihnen bereits einige Pläne mit meinen Vorschlägen mitgebracht, die sowohl die Außenhautsicherung als auch die Freigeländesicherung betreffen“, begann er in Richtung der jungen Frau, „das alles auf Basis der Unterlagen aus dem Katasteramt, die Sie mir geschickt hatten.“
„Sehr gut“, flüsterte sie. Es waren ihre ersten Worte gewesen, die er hörte. In ihrer Stimme war eine ungekannte Traurigkeit, die noch mehr herauszuhören war als die zweifellos vorhandene Entschlossenheit. Er zuckte zusammen, als er sich vorstellte, welches Leid diese Frau erfahren haben musste. Es drängte ihn, ihr zu helfen, sie zu beruhigen, ihr zu versichern, dass er nun hier sei und alles gut werden würde.
Eilig öffnete er seinen schwarzen Koffer und holte den Ordner mit der Aufschrift PRAG heraus. „Es sind schon eine Menge Akten“, entschuldigte er sich.
„Das macht doch nichts“, entgegnete Palazuelo, „wir haben die ganze Nacht Zeit.“
Lea stand zaudernd vor dem Ort, den sie ihr Zuhause nennen sollte. Sie lief seit drei Stunden ziellos in der nächtlichen Kleinstadt umher. Mittlerweile hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt, ihre langen Haare klebten an ihrem Rücken, und weil der Abend zunächst noch für die herbstliche Jahreszeit sehr warm gewesen war und sie nur ein T-Shirt trug, begann sie erbärmlich zu frieren.
Dennoch zögerte sie. Durchs Fenster sah sie ihre Mutter, die am Küchentisch saß und in irgendeinem Magazin blätterte. Lea wollte ihr nicht begegnen. Sie hätte den Ersatzschlüssel aus der Gartenhütte holen können, sich an ihr vorbeischleichen und in ihrem, Leas, Zimmer verbarrikadieren können. Aber auch davor schreckte sie zurück. Das Zimmer bedeutete Zeit zum Nachdenken. Sie wollte nicht nachdenken. Außerdem stand dort der Computer, für dessen Erwerb sie sich eigens mit dem zwielichtigen Jörg Uglik eingelassen hatte, und würde sie in jeder Sekunde an das erinnern, was vor einhundertundachtzig Minuten im Bürgerhaus von Eschersbach geschehen war.
Die Entscheidung wurde ihr aus der Hand genommen, als plötzlich ihre Mutter in der Tür stand. Lea hatte gar nicht mitbekommen, wie sie vom Küchentisch aufgestanden war.
Eine unendlich lange Minute sprach keine der beiden ein Wort. Dann sagte Valeska: „Komm doch herein, du bist ja ganz nass.“ Aber der Tonfall war bei weitem nicht so liebevoll wie die Worte.
Lea stieg wortlos die sieben Stufen zur Haustür empor und trat ein. Durch den Flur kam sie zur Küche und setzte sich. Die Konfrontation mit ihrer Mutter war ohnehin unvermeidlich, da war es wohl besser, sie gleich hinter sich zu bringen, als jetzt in ihrem Zimmer zu sitzen und zu grübeln.
Valeska setzte sich ihrer Tochter gegenüber.
„Das Bühnenbild war sehr schön“, sagte sie ohne zu lächeln.
Lea nickte.
„Sie hatten wirklich eine sehr große Leinwand, sehr beeindruckend. Wie bei einer dieser Großveranstaltungen, die man im Fernsehen sieht.“
„Mhm.“
„Und da war ein wunderschönes Bild auf der Leinwand, es muss wohl von deinem Programm gewesen sein, jedenfalls ist es verschwunden, als sie den Computer wieder ausgeschaltet hatten.“
„Ja.“
Ihre Mutter beugte sich nach vorn. „Lea, was ist los mit dir? Du hast dir deinen eigenen großen Auftritt gründlich verdorben. Ich mache mir Sorgen um dich. Du bist so ... weit weg von mir. Bist du in Schwierigkeiten? Möchtest du über etwas reden?“
„Nein.“
„'Ja', 'Nein', 'Mhm'. Wenn dein Vater dich jetzt interviewen sollte, wärst du sein Alptraum. Kannst du nicht mal ein bisschen deutlichere Antworten geben?“
„Er hat versprochen zu kommen.“
„Ja, das hat er. Und er wäre auch da gewesen, wenn sich der Beginn nicht so lange verzögert hätte.“
„Wäre, hätte, wenn, wenn nicht. Merkst du das nicht? Mein Vater ist nur noch im Konjunktiv für mich da!“
„Er hatte eben noch diesen Termin. Ich weiß, ein merkwürdiger Termin für geschäftliche
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