Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
funktioniert.“
„Was ist es dann, das du willst?“
„Das weißt du nicht? Du weißt es wirklich nicht?“
Er räusperte sich. „Du wolltest, dass ich deinen Auftritt sehe. Wie gesagt: Es tut mir leid. Ich konnte diesen Termin nicht absagen. Ich konnte ja nicht voraussehen, dass sie ...“
„... dass sie eine ganze Stunde später und so weiter. Danke, das hatte ich auch schon. Eigentlich hatte ich alles schon. Und ich will auch gar nichts mehr von dir. Du bist sicher ... müde. Ich habe nur eine einzige Frage an dich.“
„Jederzeit, Lea.“
Sie ließ die Frage in ihrem Kopf schweben, sah sie von allen Seiten an, dachte kurz darüber nach, ob sie lieber herausgeschrien oder geflüstert werden wollte, und kam zu dem Schluss, dass es Dinge gab, die man einfach nicht leise sagen konnte.
„ Was “, schrie sie aus Leibeskräften, „ was ist das für ein Auftrag, dem du so bereitwillig deine gesamte Familie opferst!? “
Sein Atem ging etwas schneller, er kaute noch stärker an seiner Lippe, aber er schaffte es, ruhig zu bleiben. „Ich habe diesen Auftrag nicht angenommen, um meine Familie zu opfern, sondern damit es meiner Familie gut geht, Lea. Wenn ich ihn gut erfülle, muss ich vielleicht nie wieder einen weiteren Auftrag annehmen.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist es doch nicht nur. Das ist nicht das Einzige. Du hast keine Zeit mehr für mich. Du redest kaum noch mit mir. Du flüchtest, kurz bevor ich auf die Bühne komme. Du machst mich fertig! Sieh dich doch um! Du interessierst dich doch selbst nur noch einen Dreck für den Papa, den ich vorher hatte! Der hat mir immer gesagt, ich soll das Licht anmachen, wenn ich fernsehe, und erst recht vor dem Computer. Alles andere verdirbt die Augen, hat mein Papa damals gesagt. Er hat sich Sorgen und Gedanken gemacht. Um sich. Um mich. Und jetzt sieh dich doch um! Alle Rollläden sind geschlossen! Alle Lichter sind aus! Du verkriechst dich hier in deinem dunklen Loch wie eine Schlange! Du willst in Wirklichkeit gar nicht mehr hier sein, bei uns, gib es doch wenigstens zu! “
Der Programmierer Hans Leonardt biss sich kräftig auf die geschundene Unterlippe, und ein Blutstropfen benetzte seine Mundhöhle. Er sog ihn auf und fand ihn süßer als den Sherry, den er vorhin verschmäht hatte, genau der richtige Tropfen, um damit auf seinen Erfolg anzustoßen, seinen eigenen Erfolg, er allein hatte ihn sich erkämpft, und nun kamen die Neider, die ihm seinen Erfolg schlechtreden wollten, er musste sich wehren, willkommen im Haifischpool, hatte Theo Welcker gesagt, willst du schwimmen oder untergehen?
Lea erinnerte sich später nur bruchstückhaft an die folgenden Sekunden. Wenn sie versuchte, sie zu rekonstruieren, dann war da das Bild ihres Vaters, der seinen grauen Anzug mit der roten Krawatte trug und in fast völliger Reglosigkeit auf seinem ergonomischen, blau gepolsterten Schreibtischstuhl saß. Seine Zähne auf seiner Lippe.
Dann wurde ihre Erinnerung undeutlich. Er musste aufgesprungen sein, denn plötzlich war er groß, zu groß kam er ihr vor, der Kopf war auch zu groß, und in dem Kopf waren viel zu große, aufgerissene Augen, Raubtieraugen, die Augen des bösen Wolfs, des Monsters unter dem Bett, des Schattens im Kleiderschrank. Die Zähne schienen plötzlich rasiermesserscharf zu sein, ein Löwe, ein Hai, und er war überall und füllte den Raum aus, er musste aufgesprungen sein, und zwar vor Zorn, vor verzweifeltem Zorn, wie ein wilder Eber, der mit dem Rücken zur Felswand stand und seine Jäger vor sich sah und nur noch die Wahl hatte, abzuwarten oder nach vorn zu rennen. Sterben oder Töten. Oder beides. Er war riesengroß und riss das Raubtiermaul auf, bis es ein klaffender Abgrund war, und er würde sie auffressen wie der Riese im Märchen, und das Wesen schrie, als ob es ein Dutzend Stimmen hätte, und sie wusste genau, wenn sie jemals aufschrieb, was hier geschehen war, dann müsste sie die Worte des Wesens in Großbuchstaben schreiben:
„ICH LASSE MICH VON DIR NICHT IN DIE ENGE TREIBEN!“
Dann war es vorbei. Ihr Vater ließ sich in seinen blau gepolsterten Schreibtischstuhl sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er zitterte am ganzen Körper.
„Es ... tut mir leid, Lea. Ich war etwas ... unbeherrscht. Ich habe ...“
Lea hörte die Worte nicht. Sie starrte ihn ausdruckslos an, ungläubig, reglos.
„Wer bist du?“, flüsterte sie.
„... die Fassung verloren, bitte, ich ...“ Er stand wieder
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