Das Rosenhaus
interessanten Auftrag angeboten.«
»Ach ja?«
»Wenn ich ihn annehme, werde ich erst mal wieder einige Wochen weg
sein.«
Abi sank das Herz, aber sie schaffte es dennoch, ein Lächeln aufzusetzen.
»Und, wirst du ihn annehmen?«
Er dachte einen Moment nach.
»Es wäre wahrscheinlich das Beste.«
»Wo soll’s denn hingehen?«
»Neuguinea.«
Abi schluckte.
»Wow. Ganz schön weit weg.«
»Hmhm.« Das klang fast wie eine Herausforderung.
Sie schenkte ihm noch einmal Tee nach.
»Kommst du vorbei, wenn du wieder in England bist?«
»Ich weiß nicht … vielleicht … fliege ich danach erst mal für eine
Weile nach New York.«
»Gute Idee.« Abis Erleichterung überwog ihre Enttäuschung darüber,
dass er schon wieder abreisen würde, nur knapp. »Sehr gute Idee sogar«, nickte
sie.
Der Abend musste irgendwann zu Ende gehen.
Und am Ende eines jeden Abends ging man unweigerlich ins Bett.
Die Frage, ob sie im gleichen Zimmer oder gar Bett schlafen sollten,
hatte sich nicht mehr gestellt, seit er sie an jenem Abend gebeten hatte, ihn
allein zu lassen. Die nächtliche Trennung war ungewollt gewesen, aber von
beiden akzeptiert worden. Und unversehens hatten sie sich daran gewöhnt, den
Zustand sogar irgendwie bevorzugt, bis allein die Vorstellung, wieder Zimmer
und Bett zu teilen, ihnen immer seltsamer vorkam, fast fremd.
Ersehnt und gefürchtet zugleich.
Sie hatten im Laufe des Abends beide daran gedacht.
Aber keiner hatte den Gedanken ausgesprochen.
Jetzt war es Zeit, schlafen zu gehen … Nur wo?
Sie wussten nicht, was der jeweils andere erwartete, und wenn sie
ehrlich waren, wussten sie nicht einmal, was sie selbst wollten.
Lily hatte es am einfachsten. Sie konnte gähnen, sagen, sie sei
müde, sich zurückziehen und den Rest ihm überlassen.
Vom Sofa aus konnte Liam durch die offene Tür und den Flur bis zu
dem Zimmer sehen, das nun seit einer gefühlten Ewigkeit seines war.
Das verdammte Bett hatte sich vom ersten Tag an falsch angefühlt,
und jetzt mehr denn je. Gleichzeitig stellte er enttäuscht fest, dass es ihm
richtiger vorkam, auch diese Nacht wieder darin zu verbringen, als Lily in das
Zimmer zu folgen, das mal ihr gemeinsames Schlafzimmer gewesen war, sich jetzt
aber doch eher wie Lilys Zimmer anfühlte. Zu diesem Gefühl hatte natürlich auch
die Zeit vor dem Unfall beigetragen, als er kaum noch eine Nacht im gemeinsamen
Bett verbracht hatte.
Er verzog das Gesicht vor Schmerz, als er sich erhob, seufzte
schwer, als sie ihn sofort fragte, ob alles in Ordnung sei, und verkündete
kopfschüttelnd, es sei ein langer Tag gewesen und schon echt seltsam, dass sein
Bein ihm ohne den Gips mehr wehtäte als mit. Er räumte ein, dass er den blöden
Rollstuhl vielleicht doch nicht so übereilt wieder im Hilfsmitteldepot des
Krankenhauses hätte abliefern sollen. Es kostete ihn eine solche Anstrengung,
vom Sofa bis zur Tür zu gelangen, dass niemand auch nur im Traum vermutet
hätte, er könne es die Treppe hinauf schaffen.
Darum waren sie heute von der Gretchenfrage entbunden.
Aber er wusste, dass sie früher oder später darüber reden mussten.
Er hatte erkannt, dass er viel zu sehr auf seine eigenen
körperlichen und emotionalen Verletzungen fixiert gewesen war und dass er sich
nun ganz anderen Wunden würde widmen müssen.
Liam staunte, was für einen immensen Vorgang die simple Entfernung
des Gipses in ihm ausgelöst hatte. Als er dabei zusah, wie die Krankenschwester
mit der kleinen Kreissäge den Gips aufschnitt, ihn mit der Zange auseinanderbog
und dann mit der Schere den Zellstoff durchtrennte, hatte er das Gefühl, sie
würde Schicht um Schicht seinen Gefühlspanzer aufbrechen und seinen weichen
Kern freilegen.
Das unerwartet offene Gespräch mit Dylan im Auto hatte den Boden für
diesen Läuterungsprozess bereitet.
Wer hätte gedacht, dass der Junge, der ihm helfen sollte,
buchstäblich wieder auf die Beine zu kommen, ihm auch beistehen würde, eine
Wunde zu heilen, die noch viel, viel tiefer in ihm pulsierte? Doch Dylan konnte
ihm nur bis zu einem gewissen Punkt helfen.
Alles Weitere lag nun bei ihm.
Und bei Lily.
Lily wachte von einem äußerst seltsamen Geräusch auf. Wie
ein leises, aber hartnäckiges, regelmäßiges Klicken.
Jemand warf Steinchen gegen ihr Fenster.
Sie wusste nicht recht, ob sie Angst haben oder sich Sorgen machen
sollte, bis sie feststellte, dass sie etwas ganz Ungewöhnliches empfand.
Hoffnung.
Wer versuchte, auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit zu
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