Das Rosenhaus
das so peinlich, das ist jetzt schon über einen Monat her
…«
»Nun machen Sie sich mal keine Gedanken. Ich weiß doch, dass Sie
reichlich andere Sachen um die Ohren hatten.«
»Das ist keine Entschuldigung.«
»Also, in meinen Augen ist es eine, und zwar eine verdammt gute.« Abi
stieg von der Leiter, kam die Treppe herunter und überraschte Lily, indem sie
sie in den Arm nahm.
»Na gut, wenn Sie meinen«, stammelte Lily, die von dieser herzlichen
Begrüßung ganz verwirrt war.
»Ja, meine ich.« Abi ließ sie los und strahlte sie an.
Betreten zog Lily das Geld aus der Tasche und zählte drei
Zwanzig-Pfund-Scheine ab.
»Ich … also, wirklich, vielen Dank … Sie hätten ja nicht … das ist
wirklich nett von Ihnen …«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Ehrlich gesagt, bin ich
einfach immer total aus dem Häuschen, wenn jemand etwas von Nathan kauft.«
»Sie müssen sehr stolz auf ihn sein.«
»Klar«, gab sie unumwunden zu. »Aber ist doch auch echt gut, oder?
Mal im Ernst, ich habe keine Ahnung, woher er das hat. Ich wünschte, meine
künstlerische Ader wäre etwas ausgeprägter, aber letztlich verkaufe ich eben
doch nur die Kunst anderer Leute, und das hat seinen guten Grund. Und von
seinem Vater hat er’s ganz bestimmt auch nicht …«.
Sie hielt inne und neigte sich Lily vertrauensvoll zu. »Sagen wir
mal so, er war so gut wie nie da, als Nathan noch klein war, und wenn er mal
auftauchte, dann nur, um Ärger zu machen. Aber gut, aus dem Jungen ist auch so
ein Mann geworden, und zwar einer, auf den ich verdammt stolz bin, ja. Das nur
für den Fall, dass Sie es noch nicht mitbekommen haben.« Sie blinzelte
übertrieben. »Tut mir leid, aber wenn man mir erst eine Gelegenheit gibt, über
mein Lieblingsthema zu reden, kenne ich kein Halten mehr.«
Aber dann verstummte sie doch und sah Lily so forschend ins Gesicht,
wie es sonst nur ihre Mutter tat, wenn sie sich länger nicht gesehen hatten.
»Heiliges Kanonenrohr, habe ich einen Teedurst!«, konstatierte sie
dann plötzlich. »Sie hätten nicht zufällig Lust, eine Tasse mitzutrinken?«
Lily zögerte.
»Eigentlich müsste ich wieder nach Hause …«
»Und uneigentlich? Ich brauche wirklich mal jemanden, der die
Geschichten noch nicht alle kennt, ich möchte so gerne mit meinem tollen Sohn
angeben …«, scherzte Abi und sah dabei so enttäuscht aus, dass Lily sofort
einen Rückzieher machte.
»Na gut, in Ordnung, ich muss aber eben zu Hause anrufen, ob es okay
ist.«
Sie ging hinaus und holte das Handy aus der Tasche. Erleichtert
stellte sie fest, dass sie Empfang hatte, und rief bei Liam an.
Dylan ging ans Telefon. Er war ausgezeichneter Laune.
»Klar, kein Problem«, versicherte er ihr, als Lily sagte, dass sie
doch etwas länger unterwegs sein würde. »Wir stecken gerade in einer neuen
Partie Schach, und ich kann hier eh nicht weg, bevor ich ihn wenigstens einmal
geschlagen habe.«
Sie hörte Liam im Hintergrund frotzeln:
»Davon träumst du aber auch nur, Dylan …«
»Es ist also okay?«
»Ja, natürlich. Wird langsam Zeit, dass du aus dem Haus kommst und
dich amüsierst.«
»Ich trinke bloß eine Tasse Tee, Dylan.«
»Schon klar, aber selbst das hast du ja wohl schon länger nicht
getan, oder?«
Da hatte er recht.
Wann war sie zuletzt mit einer Freundin Kaffee trinken gewesen? Die
braune Plörre in Plastikbechern, die sie zusammen mit Peter im Krankenhaus
heruntergewürgt hatte, zählte jedenfalls nicht.
Das musste in London gewesen sein. Kurz bevor sie wegzogen. Mit
Ruth. Ruth hatte neulich mal angerufen, und Lily hatte immer noch nicht
zurückgerufen.
Da tauchte Abi hinter ihr auf, Jacke und Handtasche bereits in der
Hand.
»Alles klar?«
Sie nickte.
»Ich habe sozusagen einen Freifahrschein.«
»Wunderbar! Dann gehen wir ins Port Hole, das beste Restaurant am
Platz, und lassen es uns mit einem ausgiebigen Nachmittagstee so richtig gut
gehen!«
»Das Port Hole?«, wunderte sich Lily.
»Sie kennen das Port Hole nicht? Ist das Ihr Ernst? Sie haben
wirklich ziemlich abgeschieden gelebt, seit Sie hergekommen sind, was?«
Lily nickte.
»Es ist aber irgendwie auch alles geschlossen gewesen.«
»Ja, zugegeben, im Winter ist es hier ziemlich trostlos. Sie haben
Merrien Cove in der schlimmsten Jahreszeit kennengelernt. Ein guter Freund gab
mir seinerzeit den weisen Rat, mal im Januar herzukommen, bevor ich hier
sesshaft würde. Im Sommer ist es hier wunderschön, Sonne, Strand, massenweise
Leute, nette
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