Das Rosenhaus
und vereitelte damit ihre Annäherung. Er hörte sie leise und
resigniert seufzen, dann stand sie auf und ging hinaus. Er verfluchte sich
selbst und fragte sich wieder einmal, was für ein Mensch er geworden war.
Frustriert schloss er die Augen. Wieso kam er nicht dagegen an?
14
N athan Hunter
staunte. Während überall in der Welt ständig neue Autobahnen und Hochhäuser wie
Pilze aus dem Boden schossen, sah Merrien Cove jedes Mal, wenn er nach Hause
zurückkehrte, gleich aus.
Er stellte das Auto auf dem Strandparkplatz ab, stieg aus, streckte
die müden Beine, inhalierte die frische, salzige Luft und ließ den leichten
Nieselregen sein Gesicht benetzen.
Von hier aus konnte man das ganze Dorf sehen, wie es sich vom alten
Gasthaus an der Ecke am Wasser entlang bis zum winzigen Hafen nach Westen
erstreckte. Am Hafen endete die Straße und ging über in einen Wanderweg, der
über die Landzunge zum Weststrand führte.
Das Ufer betrachtend, zauberte die Erinnerung an alte Träume und
Gewohnheiten ein Lächeln auf sein sonnengebräuntes Gesicht. Er kam wirklich
viel in der Weltgeschichte herum, aber wenn er nach Merrien Cove zurückkehrte,
fühlte sich das jedes Mal an, als schlüpften seine müden Füße in bequeme
Schuhe. Hier war er zu Hause.
Er sah die Galerie am Ende der Straße. Die Tür stand halb offen.
Trotz des Nieselregens beschloss er, das Auto stehen zu lassen und den Rest zu
Fuß zu gehen.
Entspannt lächelnd schlenderte er los. Das Schmuddelwetter konnte
ihm nichts anhaben – er hatte Sonne im Herzen! Als er sich der Galerie näherte,
sah er sie bereits durch die offene Tür. In verwaschenen Jeans und einem
pinkfarbenen T-Shirt, die wilden Locken mit einem roten Tuch zurückgebunden,
tänzelte sie zu einer Melodie in ihrem Kopf mit einem großen gelben Staubwedel
bewaffnet durch das Erdgeschoss. Sie erinnerte ihn an einen bunten, in einem
Glas gefangenen Schmetterling.
Leise betrat er den kühlen Raum, um sie nicht zu stören, und
beobachtete sie eine Weile.
»Ich glaube, du hast da was übersehen.«
Sie erstarrte mit dem Rücken zu ihm und dem Staubwedel mitten auf einem
Bilderrahmen. Nathan konnte ihr Gesicht nicht sehen, wusste aber, dass in
diesem Moment das breiteste Lächeln der Welt jenes ihm so vertraute Gesicht
zierte.
Dann drehte Abi sich um und stieß einen Freudenschrei aus. Sie raste
auf ihn zu und warf sich ihm in die Arme.
»Sachte, Mum«, lachte er. So sehr er sich auch freute, seine Mutter
wiederzusehen – ein klein wenig peinlich war ihm die überschwängliche Begrüßung
schon.
»Nathan!« Abi sog den vertrauten Duft seines Aftershaves ein und
schlang die Arme ganz fest um ihn. Die Liebe zu ihrem einzigen Sohn schnürte
ihr fast die Luft ab. »Du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich mich freue, dich
zu sehen!«
»Ich bin doch nur ein paar Monate weg gewesen«, lachte er und schob
sie sanft von sich.
»Ja, und das waren wie immer die längsten paar Monate meines
Lebens.« Sie lächelte, aber er bemerkte die Tränen, die in ihren Augenwinkeln
glitzerten, und nahm sie noch einmal in den Arm.
So blieben sie eine Weile stehen und gewöhnten sich wieder
aneinander, bis sie selbst sich aus der Umarmung löste, ihm über die unrasierte
Wange strich und staunte, wie toll und gleichzeitig müde er aussah.
»Wann bist du angekommen?«
»Bin heute früh um drei in Gatwick gelandet und dann direkt
hierhergefahren.«
»Du Ärmster, du musst ja völlig fertig sein. Du siehst vollkommen
alle aus.«
»Mir geht’s prima.«
»Und wie lange bleibst du? Ach nein, sag’s mir lieber nicht, es ist
ja doch nie lange genug!«
Er zuckte mit den Schultern und sagte, er wisse es noch nicht, er
habe nichts Konkretes geplant, mal sehen, wie lange er es aushielte … Worauf
sie beide lachten, weil seine Wanderlust und sein Unvermögen, sich längere Zeit
am gleichen Ort aufzuhalten, ihnen beiden nur zu vertraut war, sie aber auch
beide frustrierte.
Abi freute sich, wieder jemanden zu haben, um den sie sich kümmern
konnte, hängte das »Geschlossen«-Schild an die Tür, hakte sich bei ihrem Sohn
unter und verkündete glücklich: »Komm schon, nach Hause. Ich mache dir jetzt
erst mal ein ordentliches Frühstück, und dann kannst du dich auf dein Bett
setzen und mir dabei zusehen, wie ich deinen Koffer auspacke, und so tun, als
würdest du mir helfen …«
Eigentlich war es nur logisch gewesen, Dylan einen eigenen
Schlüssel zu geben. Am Wochenende jedoch zweifelte Lily daran, ob das auch
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