Das Rosenhaus
besonders.«
Dylans Lächeln verwandelte sich in ein besorgtes Stirnrunzeln.
»Hm. Dann werde ich mal besser nach ihm sehen, bevor ich hier
weitermache.«
Dylan ging an ihr vorbei ins Haus und klopfte leise an Liams Tür,
bevor er eintrat. Lily hörte ihn scherzen: »Was ist das denn bitte für ein lausiges
Empfangskomitee? Wo sind die Blaskapelle und die Transparente? Und was machst
du um diese Uhrzeit noch im Bett, du alter Simulant?«
Lily ging in die Küche, schaltete den Wasserkocher ein und schaute
im Schrank nach Dylans Lieblingskeksen. Schon komisch, er war in den letzten
Wochen fast täglich hier gewesen, aber heute hatte sie das Gefühl, ihn
verwöhnen zu müssen.
Er kam in die Küche, als sie gerade heißes Wasser in die Kanne goss.
»Und, wie lautet die Diagnose?«
»Hat gestern Abend vergessen, seine Schmerztabletten zu nehmen,
darum macht ihm sein Knie zu schaffen, das ist alles. Ich habe ihn
medikamententechnisch wieder auf Kurs gebracht, von daher müsste es ihm in
einer Stunde oder so wieder besser gehen.«
»Er hat vergessen, seine Schmerztabletten zu nehmen? Aber ich hatte
sie ihm doch gebracht …«
»Ich glaube, er ist eingeschlafen, bevor er sie nehmen konnte …«
Dylan zuckte mit den Schultern. »Keine Sorge, so beschissen, wie es ihm heute
geht, passiert ihm das nicht noch mal.«
»Gut. Beziehungsweise nicht gut, aber du weißt, was ich meine.« Sie
reichte ihm eine Tasse Tee. »Das war der letzte Rest Milch. Ich laufe eben
runter nach Merrien Cove und hole neue. Brauchst du etwas?«
»Glaub nicht.«
»Soll ich den Hund mitnehmen?«
»Klar.« Er lächelte irgendwie gezwungen.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, klar, alles prima. Reef! Gassi!«
Es war Lily etwas seltsam vorgekommen, wie Dylan ihrem Blick
ausgewichen war, doch kaum trat sie zur Haustür hinaus in den Sonnenschein,
dachte sie nicht mehr darüber nach. Sie genoss die Wärme auf ihrem Gesicht und
hoffte, dass das schöne Wetter ein gutes Omen und sie nur wieder ein wenig
paranoid war.
Erst, als sie am Hafen angekommen war, fiel ihr ein, dass der kleine
Gemischtwarenladen erst um zehn aufmachte. Sie blieb vor der Galerie stehen,
unschlüssig, ob sie warten oder wieder nach Hause gehen sollte. Da hörte sie
jemanden nach ihr rufen.
Abi hing halb aus einem der winzigen Fenster im ersten Stock und
winkte Lily aufgeregt mit einem gelben Staubwedel zu.
»Lily! Wie schön, dich zu sehen! Hier ist jemand, den du unbedingt
kennenlernen musst! Komm rein. Na los schon, hopp, hopp!« Und damit verschwand
sie und schloss das Fenster.
Lily sah Reefer an.
Ihr Zögern entging Abi nicht, die sie weiter beobachtete. Sie machte
das Fenster wieder auf.
»Ist das deiner?«
»Vorübergehend, ja.« Lily zuckte kurz mit den Schultern.
Abi sah von Lily zu Reefer und machte dabei ein Gesicht, als habe
sie soeben etwas begriffen. »Dann bring ihn einfach mit, Süße!« Und damit
schloss sie das Fenster wieder.
Zögerlich betrat Lily das wunderbar duftende Ladenlokal.
Abi kam die Treppe herunter, gefolgt von einem jungen Mann.
»Lily!« Abi küsste sie auf die Wange. »Endlich kann ich ihn dir
vorstellen. Das ist mein Sohn Nathan. Nathan, das ist meine Freundin und Nachbarin
Lily.«
Lächelnd kam er auf sie zu, doch Lilys Lächeln erstarb.
Das war der Mann vom Hafen. Der sie fotografiert hatte.
Oder auch nicht.
Wäre sie nicht ohnehin schon so blass gewesen, wäre ihr nun alle
Farbe aus dem Gesicht gewichen.
Ihm schien ihr Unbehagen gar nicht aufzufallen. Lächelnd reichte er
ihr die Hand.
»Hallo …«
Er wartete kurz, dann lächelte er noch etwas breiter und fügte
hinzu:
»Schön, Sie wiederzusehen.«
Diese Äußerung, gepaart mit einem Lächeln, das sie als spitzbübisch
bezeichnen würde und das er eindeutig von seiner Mutter geerbt hatte, war das
vollumfängliche Geständnis, dass seine Linse an jenem Tag am Hafen sehr wohl
und sehr gezielt auf sie gerichtet gewesen war. Lily war so konsterniert, dass
es eine Weile dauerte, bis sie die ihr gereichte Hand schüttelte, ohne Nathan
jedoch dabei anzusehen.
Nathan dagegen hatte Lilys Gesicht nicht aus den Augen gelassen,
seit sie den Laden betreten hatte. Er betrachtete sie auf eine Weise, als suche
er nach irgendwelchen Fehlern.
Sie schalt sich selbst für ihr albernes Benehmen und zwang sich, ihn
ebenfalls anzusehen.
Sein braunes Haar konnte gut einen neuen Schnitt vertragen, die
Spitzen waren von der Sonne gebleicht und seine Haut goldbraun.
Er trug verwaschene, an den
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