Das Rosenhaus
Wut in ihr
aufstieg.
Wie konnte er es wagen, sie so zu behandeln?
Was hatte sie ihm angetan?
Womit hatte sie das verdient?
Ohne groß darüber nachzudenken, folgte Lily einem Impuls und
schenkte Liam großzügig von dem Rotwein ein.
»Was soll das?«, fuhr er sie mit aufgerissenen Augen beleidigt an.
»Hast du dir verdient«, antwortete sie nur.
Ja, das hatte er sich verdient.
Sollte er doch da sitzen und das volle Glas anglotzen und sich aus
reiner Boshaftigkeit beherrschen, nicht davon zu trinken, obwohl er nichts
lieber täte. Sollte er sich doch zurückhalten, aber nicht aus Mitgefühl, wie
sie, sondern aus Gehässigkeit. Dann würden sie schon sehen, wer am meisten
damit zu kämpfen hatte.
Als Peter endlich an den Tisch zurückkehrte, war er ganz
grau im Gesicht.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, danke. Glaube schon. Sind bloß die Nerven.«
»Du hast doch gar keinen Grund, nervös zu sein.«
»Ich weiß, aber sie müsste längst hier sein«, stellte er
verdrießlich fest.
Liam sah auf die Uhr und lächelte seinen Freund aufmunternd an.
»Na ja, was heißt ›längst‹? Sie ist erst ein paar Minuten über der
Zeit.«
»Ja, aber normalerweise kommt sie niemals zu spät. Sie ist ein
unglaublich pünktlicher Mensch. Mein Vater wird sie dafür lieben.«
»Und du liebst sie aus so vielen anderen Gründen.«
»Von Liebe ist noch gar keine Rede«, beeilte er sich, abzuwiegeln,
wobei er auf den Tisch blickte und nicht verhindern konnte, dass seine
Mundwinkel in Richtung Lächeln zuckten.
»Schon klar. Du bist nur bis über beide Ohren in sie verschossen«,
meinte Liam.
»Allerdings.« Lily lächelte ihn an.
Peter sah zu ihnen auf und grinste nun über das ganze Gesicht, das
gleichzeitig puterrot anlief.
»Sie ist etwas ganz Besonderes«, sagte er verlegen und sah dann
abermals auf die Uhr.
»Ich hätte sie doch abholen sollen. Ich habe es ihr angeboten, aber
sie wollte nicht. Hat gesagt, dass sie direkt von einer Kollegin hierherkommen
würde und dass es albern wäre, wenn ich zu ihr fahren würde, weil das in der
entgegengesetzten Richtung liegt.«
»Gib’s zu, du wolltest sie doch bloß abfüllen, sie hinterher nach
Hause fahren und dich da über sie hermachen«, zog Liam ihn auf.
»Das würde Peter niemals tun«, schritt Lily zu Peters Verteidigung
ein. »Peter weiß, was sich gehört.«
»Im Gegensatz zu mir, ja?«
Lily war klar, dass er wieder versuchte, einen Streit vom Zaun zu
brechen, und lächelte ihn daher einfach nur an, ohne auf seine Spitze
einzugehen. Dann wandte sie sich wieder an Peter, um ihn zu beruhigen.
»Ich bin sicher, dass alles in bester Ordnung ist.«
»Ich hätte sie abholen sollen, aber sie wollte auf keinen Fall …«
»Sie wird jeden Moment hier sein …«
Und tatsächlich, wenige Minuten später öffnete sich die Tür, eine
junge Frau trat ein, und Peters Gesicht strahlte mit einem Mal viel heller und
wärmer als alle Kerzen im Port Hole zusammengenommen.
Ihr strohblondes Haar war zu einem stufigen Bob
geschnitten, der ihr weich bis gerade unters Kinn ging. Ihre winzige Stupsnase
zierten helle Sommersprossen, und aus ihren riesigen grauen Augen beobachtete
sie Liam und Lily mit einer Mischung aus Freundlichkeit, Hoffnung und
Nervosität.
Sie trug ein Kleid, das Lily an die Kleider erinnerte, die ihre
Mutter sie als Teenager gezwungen hatte anzuziehen: sehr feminin, mit
Blumenmuster. Sie war unglaublich schüchtern, und der erste Teil dieses ohnehin
etwas unbeholfenen Treffens begann mit gestammelten Begrüßungen sowie in der
Aufregung an falschen Stellen landenden Küsschen. Lily konnte zunächst
überhaupt nicht nachvollziehen, was ein Mann wie Peter über das hübsche Gesicht
und die schlanke Figur hinaus an diesem linkischen, verängstigten Mädchen fand.
Doch nachdem sie binnen kürzester Zeit ein großes Glas Weißwein
getrunken hatte, fing Wendy an, sich zu entspannen und sich in ihrer ganzen
Schönheit zu entfalten. Es dauerte nunmehr keine zehn Minuten, bis Lily
begriff, was Peter an ihr fand.
Sie hatte so etwas Unschuldiges an sich, etwas Unverbrauchtes und
Makelloses, wie eine Knospe, die gerade im Begriff ist, ihre Blüte zu zeigen.
Aber hin und wieder, wenn sie und Peter einander ansahen, konnte Lily auch
etwas wunderbar Schelmisches in ihren Augen aufblitzen sehen.
Die Zungen lösten sich im Verlaufe des Essens, und bald wurde klar,
dass Wendy einen äußerst subtilen, ansteckenden Humor hatte. Wenn sie lachte,
musste man einfach mitlachen,
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