Das Rosenhaus
Rücksicht nehmen und so viel trinken, wie sie wollte – ein
anderer Teil fand es völlig in Ordnung, dass jemand sein Paria-Dasein mit ihm
teilte. Es war dieser letzte Gedanke, der ihn aufmerken ließ. Was war denn bloß
mit ihm los? Warum war er die ganze Zeit so schlecht drauf? Er zwang sich,
seine Frau anzulächeln.
»Du brauchst nicht wegen mir nichts zu trinken.«
»Aber das ist doch irgendwie ungerecht …«, wandte sie ein.
»Genau wie das Leben.«
Er nickte. Der Kloß im Hals verhinderte weitere Worte. Lily trank
immer noch nicht.
Peter beobachtete die beiden.
Und wie immer rettete er die Situation mit einer Portion Humor.
»Also, wenn hier jemand einen Drink braucht, dann ja wohl ich. Seht
euch mal meine Hände an, wie die zittern.« Er streckte die Hände aus. »Leute,
ich rase auf die vierzig zu und komme mir vor wie ein Schuljunge! Ich bin das
reinste Nervenbündel! Bin ich denn völlig bekloppt? Ich meine, ist ja nun
beileibe nicht mein erstes Date …«
Erleichtert stellten Lily und Peter fest, dass Liam wieder lächelte.
»Nein, aber es ist dein erstes Date, bei dem wir dabei sind. Weiß
die Ärmste eigentlich, dass wir dich zwingen werden, sie in die Wüste zu
schicken, wenn sie den Test heute nicht besteht? Und dir ist schon klar, dass
du mir immer noch nicht erzählt hast, wo du sie eigentlich aufgegabelt hast,
ja?«
Nur zu gerne erzählte Peter noch einmal die Geschichte ihrer ersten
Begegnung.
Komisch, dachte Lily. Normalerweise wäre Liam doch der Erste
gewesen, dem Peter sie erzählt hätte. Vielleicht war sie nicht die Einzige, der
es derzeit schwerfiel, normal mit Liam zu kommunizieren.
Doch von Wendy zu erzählen, machte Peter nur noch nervöser. Auf
seiner Stirn zeichneten sich Schweißperlen ab, seine Handflächen waren feucht.
Lily sah, wie er sie sich an der Serviette abtrocknete und dann zum hundertsten
Mal zur Tür sah.
»Ich muss mal eben für kleine Jungs.«
»Schon wieder?«, fragte Liam mit hochgezogener Augenbraue, und Peter
schnitt eine Grimasse, als er sich erhob.
Lily sah ihm nach.
»Peter ist ja total aufgeregt. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er
ist doch sonst immer so unglaublich sachlich und vernünftig.«
»Ja, aber wenn ihm etwas wirklich wichtig ist, kann auch Peter mal
nervös werden.«
»Und das heißt, dass ihm diese neue Freundin wirklich wichtig ist?«
»Glaube schon.«
»Was sie wohl für ein Mensch ist?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Das werden wir ja gleich sehen.«
Sie schwiegen. Lily lauschte den Gesprächen an den Nachbartischen
und nahm die Stille am eigenen Tisch überdeutlich wahr.
»Und, wie findest du das Restaurant?«, fragte sie schließlich, als
ihr nichts Besseres einfiel.
»Nett.« Ein plattes, bedeutungsloses Wort.
»Es gehört Abi.«
Fragend sah er sie an.
»Freut mich, dass du eine Freundin gefunden hast.«
Er versuchte, sie anzulächeln. Sie hätte heulen können, als sie sah,
welche Mühe ihn das kostete.
Lily gab auf. Sie schwiegen sich an, bis Peter an den Tisch
zurückkehrte. Lily hatte ihren Wein immer noch nicht angerührt und tat, als
würde sie noch einmal die Karte studieren. Liam starrte blicklos aus dem
Fenster in die dunkle Gasse.
Es war eine mondlose Nacht. Da sie im Erdgeschoss saßen, konnte Liam
das Meer nicht sehen, sondern nur Fenster und Dächer anderer Häuser sowie den
dunklen Nachthimmel mit den schwarzen Wolken.
Sein Bein tat ihm jetzt schon höllisch weh – wie sollte das erst
gegen Ende des Abends werden? Kurz entschlossen griff er nach seinen
Schmerztabletten, nahm eine in den Mund, schnappte sich Lilys Glas und spülte
die Pille mit einem Schluck Barsac herunter. Dabei ließ er Lily nicht aus den
Augen. Fast schon wünschte er sich, dass sie ihn ertappen würde.
Doch sie sagte nichts.
Sie wusste genau, dass er das nur tat, um sie zu provozieren. Und
genau darum würde sie nicht darauf reagieren und so tun, als wäre seine Aktion
ihrer Aufmerksamkeit entgangen.
Sie hielt sich die Karte etwas länger als nötig vors Gesicht, um die
Gefühle zu verbergen, die sein Verhalten in ihr auslöste. Sie wollte warten,
bis ihre Wut so weit verflogen war, dass sie sich Liam wieder stellen konnte.
Sie war fest entschlossen, Größe zu zeigen, denn schließlich konnte man ja
verstehen, dass er sich so aufführte, oder? Doch als sie die Karte herunternahm
und ihr Gesicht wieder innere Ruhe ausstrahlte, rumorte es in ihrem Bauch, und
es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass eine ungeheure
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