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Das Rosie-Projekt

Das Rosie-Projekt

Titel: Das Rosie-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graeme Simsion
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– entspannen? Können Sie einfach nur Spaß haben?«
    Die Frage war zu komplex, als dass ich sie nach dem erneuten Anfahren über das Windgeräusch hinweg hätte beantworten können. Spaß zu haben führt nicht zu allumfassender Zufriedenheit. Das haben Studien lückenlos bewiesen.
    »Sie haben die Ausfahrt verpasst«, sagte ich.
    »Korrekt«, antwortete sie wieder mit dieser Automatenstimme. »Wir fahren zum Strand.« Als ich protestierte, redete sie laut dagegen. »Ich höre Sie nicht, ich höre Sie nicht.«
    Dann stellte sie Musik an – sehr laute Rockmusik – und konnte mich tatsächlich nicht mehr hören. Ich wurde entführt! Wir fuhren vierundneunzig Minuten lang. Ich konnte den Tachometer nicht sehen und war es nicht gewöhnt, in einem offenen Fahrzeug zu sitzen, aber ich schätzte, dass wir durchweg die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten.
    Schräge Musik, Wind, Todesgefahr – ich versuchte, den mentalen Zustand heraufzubeschwören, den ich bei Zahnarztbesuchen einnehme.
    Endlich hielten wir auf einem Parkplatz nahe dem Strand. An einem Nachmittag unter der Woche war er fast leer.
    Rosie sah mich an. »Bitte lächeln! Wir gehen spazieren, fahren zum Labor, dann bringe ich Sie nach Hause. Und Sie sehen mich nie wieder.«
    »Können wir nicht gleich nach Hause fahren?«, fragte ich und merkte, dass ich wie ein Kind klang. Ich ermahnte mich, dass ich ein erwachsener Mann sei, zehn Jahre älter und viel erfahrener als die Person neben mir, und dass sie einen Grund haben musste, so zu handeln. Ich fragte danach.
    »Ich bin kurz davor herauszufinden, wer mein Vater ist. Ich muss einen klaren Kopf bekommen. Könnten wir also bitte eine halbe Stunde spazieren gehen, und Sie tun so, als wären Sie ein normales menschliches Wesen, und hören mir zu?«
    Ich war nicht sicher, wie ich ein normales menschliches Wesen imitieren sollte, doch in den Spaziergang willigte ich ein. Es war offensichtlich, dass Rosie von Gefühlen übermannt wurde, und ich respektierte ihren Versuch, sie in den Griff zu bekommen. Wie sich herausstellte, sprach sie kaum ein Wort. Das machte den Spaziergang recht angenehm – es war fast dasselbe, wie allein zu spazieren.
    Als wir uns bei der Rückkehr dem Wagen näherten, fragte Rosie: »Was für Musik mögen Sie denn?«
    »Warum?«
    »Das, was ich auf der Herfahrt gespielt habe, hat Ihnen nicht gefallen, oder?«
    »Korrekt.«
    »Also sind Sie auf der Rückfahrt dran. Aber von Bach habe ich nichts.«
    »Eigentlich höre ich gar keine Musik«, entgegnete ich. »Bach war ein Experiment, das nicht funktioniert hat.«
    »Sie können nicht durchs Leben gehen, ohne irgendwelche Musik zu hören.«
    »Ich höre einfach nicht hin. Ich bevorzuge es, Informationen zu hören.«
    Es herrschte lange Zeit Stille. Wir kamen zum Auto.
    »Haben Ihre Eltern Musik gehört? Brüder, Schwestern?«
    »Meine Eltern haben Rockmusik gehört. Vor allem mein Vater. Aus der Zeit, in der er jung war.«
    Wir stiegen ins Auto, und Rosie öffnete wieder das Verdeck. Sie tippte auf ihrem Handy herum, das sie als Abspielgerät benutzte.
    »Trip in die Vergangenheit«, sagte sie dann und schaltete die Lautsprecher ein.
    Ich wollte mich gerade wieder in meinen Zahnarztmodus versenken, als mir bewusst wurde, wie sehr Rosies Worte zutrafen. Ich kannte diese Musik. Sie war der Hintergrund meiner Jugend gewesen. Plötzlich saß ich wieder hinter verschlossener Tür in meinem Zimmer, schrieb in BASIC auf meinen Heimcomputer der letzten Generation und hörte aus der Ferne dieses Lied.
    »Diesen Song kenne ich!«
    Rosie lachte. »Wenn nicht, wäre das der endgültige Beweis gewesen, dass Sie vom Mars sind.«
    Während ich in einem roten Porsche mit wunderhübscher Fahrerin zu diesem Lied Richtung Stadt zurücksauste, hatte ich das Gefühl, auf der Schwelle zu einer anderen Welt zu stehen. Ich erkannte das Gefühl wieder, das noch stärker wurde, als es zu regnen begann und das Verdeck streikte, so dass wir es nicht hochfahren konnten. Es war dasselbe Gefühl, das ich beim Anblick der Stadt nach dem Balkonessen gehabt hatte, und dann erneut, als Rosie mir ihre Telefonnummer aufschrieb. Eine andere Welt, ein anderes Leben – nah und doch unerreichbar.
    Die so schwer greifbare …
Sat-is-fac-tion
.
     
    Als wir die Universität erreichten, dunkelte es bereits, und wir waren beide durchnässt. Mit Hilfe des Handbuchs war ich in der Lage, das Verdeck manuell zu schließen.
    Im Labor öffneten wir zwei Flaschen Bier (diesmal war kein

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