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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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sich von ihm los und rannte unter Tränen aus der Waffenhalle hinaus. Und seitdem hatte Victorian Eloïse nicht mehr gesehen.
    Victorian ging zum Fenster, öffnete es weit und atmete tief die klare Herbstluft ein. Er hatte Eloïse noch nie weinen gesehen, obwohl sie früher beim Kampftraining oft am Ende ihrer Kräfte gewesen sein musste! Wütend schlug er mit der Hand gegen den Fensterrahmen. Warum wehrte sich Eloïse nicht gegen dieses ungerechte Verhalten? Korin war doch auch nie um einen frechen Spruch verlegen gewesen! Aber Eloïse blieb stumm und litt. Er schnaubte. Natürlich verdiente sie für ihren Betrug eine Strafe, doch das war zu viel! Er musste in dieser Sache etwas unternehmen, denn schließlich war Eloïse immer noch eine adlige Dame, und die Dukes of Walraven waren Männer von Ehre. Gleich morgen früh würde er mit dem Earl über Eloïses Behandlung reden!
    Nachdem Victorian diesen Entschluss gefasst hatte, wollte er zurück ins Bett gehen. Doch er verharrte am Fenster, denn draußen schlich eine Gestalt um die Burg. Angestrengt blickte er ins Dunkel. Es war keine der Burgwachen, so viel stand fest. Sollte es einer der Strauchdiebe aus dem Wald sein? Als er die Person schließlich erkannte, stöhnte er. Wie es schien, musste sein Bett noch einen Moment auf ihn warten …
     
    „Stiehlst du jetzt auch schon Pferde, Eloïse?“ Victorian lehnte sich an den Stalleingang und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Erschrocken drehte Eloïse den Kopf zu ihm und nahm den Fuß aus dem Steigbügel. „Ich schicke es wieder zurück, wenn ich daheim bin“, sagte sie.
    „Warum läufst du fort?“, fragte er.
    Trotzig sah Eloïse ihn an. „Lass mich durch, Victorian!“
    „Nein!“ Er trat auf sie zu und griff in die Zügel. „Du hattest einen Grund, nach Greystone zu kommen. Ist er dir nicht mehr wichtig?“
    „Doch, aber ich ertrage es in der Akademie nicht mehr! Ich will nach Hause!“, rief sie, und das Pferd legte erschrocken die Ohren an. „Die letzten zwei Monate waren nicht einfach, aber die letzten fünf Tage waren die schlimmsten meines Lebens.“
    „Du machst es ihnen aber auch verdammt leicht!“
    „Es reicht! Und tu nicht so, als ob du dich um mich sorgst. Das hast du die vergangenen drei Wochen seit dem Überfall auch nicht.“ Ihre Stimme klang bitter. „Raine hatte recht: Du hast keinerlei Ahnung, was das Wort Freundschaft auch nur ansatzweise bedeutet.“
    „Du aber auch nicht!“ Victorian zog die Augenbrauen zusammen. „Denn das Einzige, worum ich dich gebeten hatte, war Ehrlichkeit!“
    „Fein, dann stehen wir beide uns in nichts nach“, erwiderte sie. „Und jetzt geh aus dem Weg!“
    „Du bleibst hier!“ Keinesfalls durfte er Eloïse alleine und schutzlos in die Nacht reiten lassen.
    Eloïse machte einen Schritt nach vorne und trat ihm fest auf die Zehen. Victorian fluchte, ließ die Zügel los und zog seinen schmerzenden Fuß hoch. Eloïse nutzte den Moment und führte ihr Pferd vorwärts zur Stalltür. Als sie die Spitze seines Schwertes zwischen ihren Schulterblättern spürte, blieb sie stehen.
    „Du bedrohst eine Dame mit einer Waffe?“, fragte sie spöttisch. „Bist du so weit gesunken, Victorian?“
    „Du bist keine Dame! Das ist ja das ganze Problem!“, rief er aufgebracht.
    Sie drehte sich um und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Und wenn ich keine Dame bin, was bin ich dann?“
    Victorian ließ das Schwert sinken. „Ich weiß es nicht“, gestand er. „Und ich glaube, den anderen geht es genauso. Korin kannten wir, Eloïse nicht. Und wir können nicht herausfinden, wer sie ist, denn sie versteckt sich hinter ihrem Schweigen.“ Er sah sie ernst an. „Du bist mir fremd, Eloïse. Aber … Korin war mein Freund, und ich würde gerne wissen, ob auch du meine Freundin sein könntest.“ Verdammt sollten sein Vater und seine Lektionen sein! Eloïse war einfach einen zweiten Versuch wert.
    Überrascht blickte sie ihn an und ließ das Pferd los, das die Chance nutzte und in seine Box zurücktrabte. „Was hast du vorhin gemeint, ich mache es allen zu leicht?“, fragte sie.
    Victorian grinste. „Du hast deine große Klappe verloren! Das, was mich sonst am meisten an dir nervte, ist das, was ich am stärksten vermisse. Du bist doch nicht auf den Mund gefallen: Gib ihnen Contra, wenn sie dich beleidigen.“
    Eloïse sah zu Boden. „Das tut eine feine Dame nicht.“
    „Verflixt nochmal!“ Victorian ging auf sie zu und packte sie an den Oberarmen.

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