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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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nicht besonders ausdauernd.“
    Victorian zog eine Augenbraue hoch, erwiderte aber nichts.
    Ian sah Victorian an. Bei seinem Erscheinen war ihm eine Idee gekommen. „Victorian“, richtete er das Wort erneut an den jungen Lord, „da Ihr gerade hier seid, nutze ich die Gelegenheit, Euch um einen Gefallen zu bitten.“ Victorian nickte, und Ian fuhr fort: „In unserem ersten Waffentraining vor zwei Tagen habt Ihr eine sehr ausgefallene Angriffskombination benutzt. Ich wollte Euch fragen, ob Ihr bereit wärt, sie morgen früh den anderen Studenten vorzustellen?“
    „Wenn dir damit geholfen ist“, entgegnete Victorian. „Wirst du morgen im Fechtunterricht wieder die gleiche sinnlose Gruppeneinteilung vornehmen wie gestern?“
    „Nein“, antwortete Ian, „das habe ich nicht vor.“
    „Wenigstens ein Lichtblick. Ich hätte ...“
    Ein tiefes Schnaufen erklang, dem ein gleichmäßiges Atmen folgte. Ian und Victorian wandten sich um – Eloïse saß mit geschlossenen Augen auf der Tribüne.
    Lächelnd trat Ian zu ihr und schüttelte sie sanft am Arm. „Korin, wacht auf!“
    Eloïse riss die Augen auf und errötete. „Ich … ich habe nicht geschlafen, nur ausgeruht! Wir können sofort weiterüben.“ Sie stand auf, doch Ian drückte sie zurück auf die Stufe und setzte sich neben sie.
    „Bleibt sitzen, es muss Euch nicht peinlich sein“, erklärte er. „Ich bin an meinem ersten Abend in Greystone eingeschlafen, als ich mit dem Earl, Lady Joanna und Lord Lionsbridge beim Essen saß.“ Damals hatte er sich ebenfalls für seine Erschöpfung geschämt, vor allem vor Joanna.
    Erstaunt sah Eloïse ihn an und auch Victorian blickte neugierig zu Ian.
    „Genaugenommen habe ich meine erste Woche auf der Burg im Dauertiefschlaf verbracht“, beschrieb Ian seine Anfänge in Greystone.
    „Warum das?“, wollte Eloïse wissen und rieb sich die Augen.
    Wegen meines Aufenthalts im Tagelöhnerhaus, wäre die richtige Antwort. Monatelanger Schlafmangel, Hunger und Angst um sein Leben hatten in Greystone ein Ende gefunden und sein Körper hatte eine Ruhepause eingefordert. Doch seine Zeit im Tagelöhnerhaus war immer noch etwas, über das Ian nicht gerne sprach. „Mein Zustand war damals mehr als erbärmlich“, erwiderte er unverbindlich.
    „Genauso fühle ich mich auch“, sagte Eloïse und gähnte. „Jede Stelle meines Leibes schmerzt.“
    Ian rieb ihr über den Rücken. „Das ist meine Schuld: Ich wollte zu viel in zu kurzer Zeit von Euch. Aber ich habe eine Idee, was Euch helfen wird. Wartet einen Moment!“ Er erhob sich und ging Richtung Ausgang. „Victorian“, rief er beim Verlassen der Waffenhalle, „vor der Waffenkammer stehen ein Weinkrug und ein Becher. Bitte, bringt Korin etwas zu trinken.“
    Der Lord of Walraven sah aus, als wollte er sich weigern, dieser Aufforderung Folge zu leisten, doch als Ian kurz darauf zusammen mit Joanna in die Halle zurückkehrte, hielt Eloïse einen Becher in der Hand.
    „Korin“, sagte Ian, „du gehst jetzt in die Burg und nimmst ein Bad. Lady Joanna wird dir ein Kräuterpulver geben, das die Verspannungen in deinen Muskeln löst.“
    Eloïse bekam nur noch ein schiefes Lächeln zustande, bevor sie aufstand und gemeinsam mit Joanna die Waffenhalle verließ.
    Victorian war neben Ian stehen geblieben. „Du gibst dir viel Mühe mit Korin“, stellte er fest, und auf seinem Gesicht war fast so etwas wie Anerkennung zu entdecken.
    Ian nahm Eloïses Holzschwert von der Tribüne und nickte. „Jeder ist es wert, dass man ihm hilft – oder nicht, Victorian?“
     

8
     
     
    Am nächsten Tag stand Ian in der Waffenhalle und sein Blick schweifte über die Gesichter der Studenten, die vor ihm auf den Stufen der Tribüne saßen. Korin und Crispin hatten seinen Gruß fröhlich erwidert, die anderen jungen Männer hatten etwas Unverständliches gemurmelt oder ihn nur grimmig angesehen. Ob ihre Abneigung daran lag, dass er ehrlos war? Oder lehnten sie ihn aufgrund seiner ungewöhnlichen Unterrichtsmethoden ab? Ian runzelte die Stirn. Vermutlich war es beides. Im Gegensatz zu seiner Ehrlosigkeit könnte er an seinem Unterrichtsstil etwas ändern, doch das wollte er nicht. Er hatte in Darkwood jahrelang seine Freunde aus dem Bauerndorf im Umgang mit der Waffe unterwiesen, und im vergangenen Jahr hatte er anderen Studenten in Greystone Nachhilfeunterricht erteilt und dadurch seinen eigenen, sehr erfolgreichen Lehrstil entwickelt. Allerdings konnte er als Lehrer noch so gut sein, gegen

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