Das rote Flugzeug
der nicht mißgedeutet werden konnte. Er begriff sofort, daß sie seinen Besuch gänzlich überflüssig fand, doch ohne sich davon irritieren zu lassen, trat er näher an das Bett und sah lächelnd zu der Kranken hinunter, deren Augen er unter den halb gesenkten Lidern sehen konnte. Sie bewegten sich ein klein wenig, als sein Blick sie traf.
Ihre schreckliche Hilflosigkeit machte ihn augenblicklich tief betroffen. Die Reglosigkeit ihrer Glieder und ihrer Gesichtszüge an sich erschreckten ihn, der dem Tod nur allzuoft ins Auge geblickt hatte, so wenig, wie sie Dr. Knowles erschreckt hatten. Das Ergreifende waren die lebendigen, intelligenten Augen, die so deutlich die Qual dieser in einem gelähmten Körper gefangenen Seele offenbarten. Ihr Blick traf ihn bis ins Innerste und weckte sein ganzes Erbarmen.
Aber nichts von dem ließ er sich anmerken, während er sie lächelnd betrachtete. Obwohl er kein Arzt war, war er überzeugt, daß ihr Zustand nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen war. Ein seelischer Schock, nein! Eine körperliche Verletzung, nein! Hypnose, vielleicht. Vielleicht auch ein Gift, aber was für eines? Beinahe hätte ihn seine Redegewandtheit verlassen.
»Es bekümmert mich sehr, Sie so zu sehen, Miss M. M.«, sagte er, bemüht, die richtigen Worte zu finden. »Ich bin sicher, daß Sie ein Opfer übler Machenschaften sind. Aber vielleicht finden Sie ein wenig Trost in der Tatsache, daß nicht nur Ihre Pflegerinnen und der Doktor um Ihr Wohl bemüht sind. Männer in allen australischen Staaten arbeiten Tag und Nacht, um herauszufinden, wer Sie sind und woher Sie kommen, damit wir möglichst bald Ihre Angehörigen ausfindig machen und zu Ihnen schicken können …«
Er trat neben das Bett und nahm die leblosen Hände, um sie sich aufmerksam anzusehen. Elizabeth und Hetty beobachteten ihn, jederzeit bereit einzugreifen. Dann legte er die weißen Hände sachte wieder auf die Bettdecke nieder.
»Sie haben sehr schönes Haar«, sagte er leise. »Es erinnert mich an eine Frau, die ich kannte, als ich noch ein Junge war. Aber nun muß ich gehen. Verlieren Sie nicht den Mut und die Hoffnung.« Er neigte sich noch tiefer und sah ihr direkt in die Augen. »Sie werden wieder gesund werden, glauben Sie mir. Sie brauchen nicht daran zu zweifeln, daß ich die Wahrheit über Sie herausfinden werde, und dann können Sie wieder im Büro an Ihrer Schreibmaschine arbeitet!.« Als er das Aufblitzen in den blauen Augen sah, fügte er mit einem Zwinkern hinzu: »Sie sehen, ich bin schon auf dem Weg zur Wahrheit. Ich bin ein Experte im Rätsellösen. Auf Wiedersehen.«
Er richtete sich auf und warf Elizabeth einen Blick zu, in dem sich eine Spur von Triumph spiegelte. Sie sah ihn mit großen erstaunten Augen an und blickte dann unwillkürlich zu den weißen Händen auf der Bettdecke hinunter. Dann gab er ihr ein kurzes Zeichen, und sie eilte gehorsam ins Ankleidezimmer.
Bony ging um das Bett herum und blieb vor dem kleinen Tisch mit der Kognakflasche, dem Glas und den Medizinfläschchen stehen. Danach ging er mit schnellem Schritt zur Tür, öffnete sie geräuschlos, ging hinaus und schloß sie ebenso geräuschlos hinter sich. Rasch lief er durch den Flur zur Halle zwischen dem Arbeitszimmer und dem Eßraum. Als er die Halle schon erreicht hatte und darauf wartete, daß Elizabeth aus dem Krankenzimmer kommen würde, sagte hinter ihm jemand in kaltem drohendem Ton: »Bleiben Sie ganz ruhig stehen!«
Er machte keine Bewegung.
»Bei der kleinsten Bewegung schieße ich.«
In diesem Augenblick trat Elizabeth aus dem Krankenzimmer, blieb stehen und blickte durch den Flur zu Bony und dem Mann hinter ihm.
»Ted Sharp!« rief sie scharf. »Was tun Sie denn da? Stecken Sie die Pistole weg.«
Bony wagte eine halbe Drehung, um den Mann zu mustern, der ihm den Pistolenlauf in den Rücken gedrückt hatte.
»Es hätte mich sehr verdrossen, wenn Sie auf mich geschossen hätten«, sagte er mit einem leisen Lachen. »Ich nehme an, Sie sind Mr. Edward Sharp.«
»Das ist Inspektor Bonaparte, Ted«, erklärte Elizabeth ein wenig außer Atem.
»Ach was! Sie sind wohl ein Anfänger, was, Inspektor?«
Teds Spott schien Elizabeth zu ärgern, denn sie sagte unwillig: »Unsinn! Mr. Bonaparte ist von der Kriminalpolizei und gerade aus Brisbane angekommen.«
»Na, so was!« Ted Sharp machte große Augen und verzog das gebräunte Gesicht zu einem verlegenen Lächeln. »Wenn ich Sie abgeknallt hätte …«
»Wie gesagt, das
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