Das rote Flugzeug
Fingerabdrücke auf dem Glasballon waren vor dem Auftreten der Sandwolke entstanden. Es blieb die Frage, ob Owen Oliver die noch verbliebene Menge des Sprengstoffs gestohlen oder mit Billigung des Eigentümers herausgenommen hatte. Daß er im Keller gewesen war, bewies der Abdruck seines teilamputierten Fingers auf dem Glasballon.
Wenn er das Nitroglyzerin nicht gestohlen hatte, dann mußte John Kane mit der Entfernung des Stoffs einverstanden gewesen sein. Wozu er entfernt worden war, schien klar zu sein. Die Frage, ob John Kane an dem Verbrechen beteiligt war, machte Bony zu schaffen. Ohne Beweise und ohne die Hilfe seiner beinahe unheimlichen Intuition konnte er die Möglichkeit, daß John Kane an der Verschwörung gegen die junge Frau, die krank auf Coolibah lag, teilgenommen hatte, einfach nicht akzeptieren. Selten war es ihm so schwer gefallen, aus einem Menschen klug zu werden.
Als sich das Gewitter in Richtung Golden Dawn verzogen hatte und von St. Albans her das nächste aufzog, setzte sich Bony mit drei Personen zum Abendessen. John Kane trug jetzt eine leichte schwarze Alpakajacke. Die alte Dame, die als Gastgeberin fungierte, war Bony als Mrs. MacNally vorgestellt worden. »Sie war schon hier im Haus, als ich noch gar nicht geboren war«, hatte Kane gesagt. Sie hatte den scharfen Blick eines Raubvogels, und mit den Jahren waren ihre Lippen immer schmäler, Kinn und Nase immer spitzer geworden. Sie dirigierte die eingeborenen Dienstmädchen, die die Speisen auftrugen, mit fester Hand.
Der letzte im Trio war Owen Oliver, der nach seinem Verhalten zu urteilen häufiger Gast auf Tintanoo war. Sein Gesicht war ebenmäßig geschnitten, die Züge waren fein gezeichnet, aber durch einen flotten Lebenswandel bereits leicht aus der Fasson geraten. Nach einem einzigen kurzen Blick auf den verkürzten Zeigefinger seiner rechten Hand vermied es Bony tunlichst, Interesse an der Verstümmelung zu zeigen.
Bony schätzte ihn auf Ende Zwanzig. Olivers Verhalten Bony gegenüber war jetzt weniger hochnäsig, dennoch war deutlich die Ablehnung gegen den Mischling zu spüren, eine Voreingenommenheit, die verriet, daß dieser Mann weder fähig noch willens war, hinter die Fassade der Dinge zu blicken.
Das Essen war einfach, aber gut zubereitet, und es wurde mit Stil serviert. Porzellan und Besteck waren kostbar und geschmackvoll. Der große Raum war mit den dunklen, schweren Möbeln aus der Zeit der Königin Victoria eingerichtet. Auf Ochsenfuhrwerken hatte man die wuchtigen Stücke in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts über Land zu diesem einsamen Gehöft im fernen Westen befördert.
Mrs. MacNally eröffnete das Gespräch mit einer Frage nach dem Befinden der Patientin auf Coolibah. Ihre Stimme war angenehm weich – eine Stimme, die in einem »Institut für Töchter aus vornehmen Familien« geschult worden war.
»Ein Spezialist hat sie untersucht. Dr. Knowles hat ihn zu Rate gezogen, um ihr Leben retten zu können. Sie haben eine neue Therapie gefunden«, log Bony. »Die arme Person ist völlig gelähmt. Sie kann nicht einmal aus eigener Kraft die Augen öffnen und schließen. Der Spezialist hat eine Behandlung vorgeschlagen, mit der es Dr. Knowles jetzt versuchen will.«
»Ich habe nie von einem ähnlichen Fall gehört«, erklärte Mrs. MacNally. »Ich bin überzeugt, da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Mrs. Greyson kam neulich vorbei und erzählte mir, daß die Sache im Bezirk viel Aufsehen erregt hat.«
»Nun, die Umstände sind ja auch gelinde gesagt merkwürdig«, meinte Kane. »Kein Mensch kennt sie, niemand weiß, woher sie kommt, was sie in dem Flugzeug zu tun hatte und wie die Maschine zum Emu Lake kam.«
»Sie wollte sie wahrscheinlich stehlen«, vermutete Mrs. MacNally. »Die jungen Mädchen von heute äffen doch in allem die Männer nach. Diese hier hat wahrscheinlich fliegen gelernt und konnte dann der Versuchung nicht widerstehen, ein Flugzeug zu stehlen. Nur für eine kleine Spritztour, wie sie immer sagen. Aber für mich ist das Diebstahl und nichts anderes. Sie flog los, und dann setzte der Motor aus, und sie wurde verletzt, als die Maschine landete. Wahrscheinlich ist es das Rückgrat. Das ist der empfindlichste Teil des Körpers. Ich weiß noch, wie Mr. Kanes Vater mal von einem Pferd an einen Pfosten geschleudert wurde. Er mußte fast einen Monat liegen.«
»Konnte der Spezialist die Ursache der Lähmung feststellen?« erkundigte sich Kane.
»Seiner Ansicht nach wurde der
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