Das rote Flugzeug
einem Motorradunfall – damals mußte auch ein Teil des Zeigefingers an einer Hand amputiert werden«, erklärte sie bereitwillig. »Ein leichtsinniger junger Bursche. Wirklich schade. Sein Vater ist ein so feiner Mann, und seine Mutter ist aus bester Familie.«
»Aber das Glasauge ist sehr gut gemacht, finden Sie nicht?«
»Ich muß sagen, ich habe nie darauf geachtet.« Mrs. MacNally lehnte sich zurück und betrachtete Bony mit ihren dunklen Augen ganz gelassen. Sie sprach mit der Unverblümtheit ihres Alters. »Ich mag ihn nicht. Er ist zu eitel, zu sarkastisch, zu verschlagen. Das letzte Mal war er an meinem Geburtstag hier. Nein, ich mag ihn nicht.«
Bony lächelte. »Darf ich fragen, wie viele Geburtstage Sie auf Tintanoo schon verlebt haben?«
»Jetzt werden Sie persönlich, Mr. Bonaparte«, gab sie scherzhaft zurück. »Als nächstes werden Sie nach meinem Alter fragen. Aber ich will es Ihnen sagen. Ich kam 1884 als Gesellschafterin für Mrs. Kane hierher. Einige Monate zuvor war mein Mann gestorben. Im Jahr darauf wurde Mr. John geboren. Mr. Charles kam am 28. Oktober 1891, an meinem Geburtstag, zur Welt. Ach Gott, was war Mr. Charles für ein Wildfang, aber ein bezaubernder kleiner Junge. Der alte Mr. Kane hätte Ihnen gefallen. Er war ein vornehmer Herr, auch wenn er zum Jähzorn neigte. Tja, und heute sind sie alle tot, Mr. und Mrs. Kane und der arme Mr. Charles und seine junge Frau. Nein, ich werde wohl nicht mehr viele Geburtstage erleben.«
»Unsinn, Mrs. MacNally«, protestierte Bony galant, während er gleichzeitig vermerkte, daß Owen Oliver am Tag vor dem Diebstahl des roten Flugzeugs in Tintanoo gewesen war. Hatte er bei dieser Gelegenheit das Nitroglyzerin aus John Kanes Keller mitgehen lassen?
Von draußen war das Donnern eines Motorrads zu hören. Bony hörte Mrs. MacNallys Reminiszenzen über die Familie Kane höflich zu. Krachender Donner übertönte das Geräusch des Motorrads, und als es wieder zu hören war, klang es bereits durch Entfernung gedämpft.
Sturm rüttelte am Haus, doch der Regen blieb aus. Es kam nicht zu dem erwarteten Wolkenbruch.
Später am Abend bat Bony, telefonieren zu dürfen. Vom Büro aus rief er in Coolibah an. Kane hörte alles, was er zu Nettlefold sagte, und war verblüfft. Bony bat darum, daß man am folgenden Tag einen Ersatzreifen zum Faraway Bore schicken solle, wo er ihn abholen würde.
21
Besprechung
Die Luftfeuchtigkeit war unangenehm hoch am 24. November, als Bony von der Windy–Creek–Farm kommend nach Golden Dawn fuhr. Es war kurz vor Mittag, und die schweren Wolken schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie sich zusammenballen und die Welt überfluten oder ob sie sich lieber verteilen sollten. Der Wagen hatte kaum vor der Polizeidienststelle angehalten, als Cox herauseilte, um Bony zu begrüßen.
»Wir wissen jetzt, wer die junge Frau ist«, rief er mit blitzenden grauen Augen.
»Das ist ja ausgezeichnet«, meinte Bony vergnügt. »Kommen Sie, setzen wir uns in Ihr Büro und schwatzen wir erst einmal ausgiebig.«
Sobald Bony sich gesetzt hatte, holte er Tabak und Zigarettenpapier heraus.
Cox runzelte unwillig die Stirn.
»Nur einen Augenblick«, bat Bony. »Ich habe seit mindestens einer halben Stunde nicht mehr geraucht. Ehe Sie anfangen, möchte ich Sie verschiedenes fragen. Als sie John Kanes Alibi für die Nacht des Flugzeugdiebstahls überprüft haben, was hat er Ihnen da erzählt? Was tat er zu der Zeit, als die Maschine gestohlen wurde?«
»Er sagte, das Motorengeräusch hätte ihn geweckt. Er sei aus dem Hotel gelaufen und mit anderen Leuten nach hinten gerannt, wo die Maschine gestanden hatte. Er hätte dann mit den anderen eine Weile herumgestanden und wäre schließlich wieder zu Bett gegangen.«
»Ah, ja. Und wie lautete Dr. Knowles’s Geschichte?«
»Dr. Knowles sagte, als er das Flugzeug hörte, sei er von seinem Haus aus zuerst zu seinem eigenen Hangar gelaufen, weil er glaubte, daß sich jemand mit seiner Maschine davonmachen wollte. Als er sah, daß es sich um Captain Loveacres Flugzeug handelte, lief er nach Hause zurück, zog sich an und kam dann zu der Menge. Er hat mit mir gesprochen.«
»Gut.« Bony zündete die fertige Zigarette an. »So, jetzt berichten Sie.«
Cox räusperte sich. »Der Inhaber des Masonic Hotels in Broken Hill, Neusüdwales, meldete der dortigen Polizei, seine Frau habe das junge Mädchen, dessen Bild im Barrier Miner erschienen war, wiedererkannt. Diese junge
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