Das Rote Kornfeld
die Luft. In einer Woche waren drei Viertel seines Haars grau geworden. Ein Dach stürzte ein und verdeckte für eine kurze Zeit die Flammen, die aber bald noch stärker als zuvor aus dem Schutt emporschlugen. Das laute Tosen verschlug Vater und Großvater den Atem.
Unser Haus, das Vater und Sohn der Familie Shan behütet hatte, als sie Reichtümer erwarben, das dann Großvater nach seiner mörderischen Tat behütet hatte und das danach Großmutter, Großvater, Vater, Onkel Luohan und all die Männer, die für sie arbeiteten, behütet hatte, das ihre Freuden und ihre Klagen beherbergt hatte, hatte nun seine historische Mission erfüllt. Ich habe diese Zuflucht gehasst, denn sie hat nicht nur die Empfindungen anständiger und aufrichtiger Menschen beschützt, sondern auch schändliche Verbrechen. Vater, als du dich 1957 in dem Loch in der Erde verstecktest, das wir unter dem Boden unseres Hauses für dich gruben, hast du dich in der gnadenlosen Dunkelheit an jene Tage in deiner Vergangenheit erinnert. Nicht weniger als dreihundertfünfundsechzigmal hast du dich daran erinnert, wie das Dach deines Hauses in den Flammen einstürzte, und darüber nachgedacht, was im Kopf deines Vaters, meines Großvaters, vor sich ging. So haben meine Träume die deinen verfolgt, während die deinen hinter Großvaters Träumen herjagten.
Als er zusah, wie das Dach einstürzte, empfand Großvater dieselbe Wut, die er empfunden hatte, als er Großmutter verließ und mit seiner neuen Liebe Lian’er ins Nachbardorf zog. Denn damals hatte er erfahren, dass sich meine schamlose Großmutter mit Schwarzauge, dem Anführer der «Eisengesellschaft», eingelassen hatte. Damals war ihm nicht klar, wovon sein Herz voll war: von Abscheu oder Liebe, von Schmerz oder Zorn. Als er später in Großmutters Arme zurückkehrte, waren die Gefühle, die er für sie hegte, so verwirrt, dass er sie nicht mehr durchschauen konnte. Anfangs hinterließ ihr Partisanenkrieg der Gefühle nur Narben im jeweils eigenen Herzen; später verwundeten sie einander. Erst als Großmutter ihn sterbend im Hirsefeld anlächelte, erkannte er endgültig, was für eine schwere Strafe ihm das Leben auferlegt hatte. Er liebte meinen Vater, wie die Elster das letzte Ei liebt, das ihr im Nest geblieben ist. Aber da war es schon zu spät, denn das Schicksal hatte ihn zu einem grausamen Ende verurteilt und erwartete ihn mit einem kalten Lächeln auf den Lippen am Ende der Straße.
«Vater, wir haben kein Haus mehr», sagte mein Vater.
Großvater strich Vater über den Kopf und blickte auf die Ruinen seines Hauses. Dann nahm er Vater an die Hand und stolperte unter dem nachlassenden Licht der Flammen und dem stärker werdenden Licht des Mondes ziellos die Straße entlang.
Am Dorfeingang hörten sie die Stimme eines alten Mannes: « Bist du das, kleine Nummer Drei ? Warum hast du den Ochsenkarren nicht gebracht?»
Der Klang seiner Stimme erfüllte Vater und Großvater mit einem Gefühl so großer Wärme, dass sie ihre Müdigkeit vergaßen und hineilten, um zu sehen, wer es war.
Ein gebeugter älterer Mann richtete sich auf und begrüßte sie. Aufmerksam musterte er Großvater mit seinen alten Augen, berührte beinahe sein Gesicht mit dem seinen. Großvater gefiel der abwartende Ausdruck in seinen Augen nicht, und der gierige Gestank, der aus seinem Mund schlug, stieß ihn ab.
«Du bist nicht meine Nummer Drei», sagte der alte Mann unglücklich und setzte sich mit schwankendem Kopf wieder auf einen Haufen von zusammengewürfeltem Zeug. Da lagen Schränke, Kisten, Esstische, Ackerbaugeräte, Zaumzeug, zerschlissene Decken, Kochtöpfe, Tonschalen ... Er saß auf einem kleinen Berg von Hausrat, den er bewachte, wie der Wolf seine Beute bewacht. Hinter ihm waren zwei Kälber, drei Ziegen und ein Maultier an einer Weide angebunden.
«Du Hund», knurrte Großvater zwischen den Zähnen hervor, «verschwinde hier!»
Der alte Mann richtete sich auf und sagte freundlich: «Aber Bruder, sei doch nicht neidisch. Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, um das alles aus den Flammen zu retten.»»
«Komm da runter, du Arschloch!» schrie Großvater.
«Du hast kein Recht, so mit mir zu sprechen. Ich habe dir nichts getan. Du bist es, der hier Ärger macht. Wie kommst du dazu, mich so zu beschimpfen?» beschwerte sich der Alte.
«Dich beschimpfen? Verdammt noch mal, ich werde dich umbringen! Wir wehren uns nicht verzweifelt gegen die Japaner, nur damit ein Aasgeier wie du die Häuser plündern
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